Ein bewegtes Land

Rwamagana, die Provinzstadt im Osten Ruandas: Überall wird gebaut und gewerkelt, Straßen werden gepflastert oder asphaltiert, das Drainagesystem wird erweitert. Hinweisschilder informieren über zahlreiche Projekte, die anvisierten Bauphasen, die heimischen und auch teils ausländischen Geldgeber für Schulen, Gesundheitsstationen, Rehabilitationszentren. Ruanda nziza, Ruanda neu.

 

Obwohl Schulferien sind, ist die Schule der protestantischen Kirche geöffnet. Im Schulhof weiden Rinder. Lehrer Jean-Paul betreut gemeinsam mit Kolleg_innen ehrenamtlich Ferienkurse für arme Kinder aus dem Stadtviertel, unabhängig von ihrer Konfession. Unterricht findet von 7.00 Uhr bis 14:00 Uhr statt. Die Kinder erhalten ein Frühstück.
Mein christliches Selbstverständnis bringt mich zum Engagement. Wir wollen Ruanda voranbringen, und zwar durch gute Schulen. Aktuell fehlen qualifizierte Lehrer. Die Bevölkerung ist jung und wächst schnell. Mein persönliches Ziel? Ich möchte eine eigene Schule aufbauen. Dort könnte ich die Lehrkräfte selbst aussuchen und ausbilden. Schon jetzt bin ich in der Lehrerausbildung tätig. Jedes Kind in Ruanda soll Zugang zu Bildung haben.“

Kinder und Erwachsene holen kanisterweise Wasser von der Zapfstelle, junge Männer transportieren Ananas und schwere Säcke. Unter Bananenstauden drohen die Fahrräder beim Weg zum Markt zusammenzubrechen.

Frauen balancieren Henkelmänner, Brennholz, Früchte auf dem Kopf stadteinwärts. Vor den Häusern sitzen Männer und Frauen, um Orangen, Bananen, Papaya oder gebrauchte Schuhe zu verkaufen. Altkleider? Der weitere Import von Secondhandkleidung ist seit 2019 verboten, um die ruandische Wirtschaft nicht länger zu schädigen.

Fahrräder werden vom Schlamm befreit. In den kleinen Gärten rund um die Häuser bearbeiten auch Kinder das Terrain mit Haken und Macheten. Die Kleinen winken mal scheu, mal verschmitzt mit „Muraho! How are you?“, voller Freude, wenn wir antworten. Sie spielen mit Ziegeln, Schlamm und ausgedienten Fahrradreifen. In einer Regenpfütze sucht ein Mann ohne Schuhe nach dem Loch im Schlauch.

Chormusik erklingt aus einer Kirche der Adventisten, ein Muezzin ertönt, in der Pfingstkirche fand der Gottesdienst bereits am frühen Morgen statt. Auch an der katholischen und anglikanischen Kirche sowie bei den Zeugen Jehovas laufen wir vorbei. Die christliche Missionierung soll nirgends in Afrika so „erfolgreich“ gewesen sein wie hier in Ruanda. Zicklein blöken erbärmlich, als man sie auf dem Tiermarkt von den Muttertieren trennt.

Eine Stadt läuft, rollt, hämmert, putzt- und wir auf unserem Spaziergang in der prallen Morgensonne mit.

Auf einer Decke entdecken wir Kassawa, das in der Sonne trocknet.

John Bosco erklärt uns in gutem Englisch, das Gemüse werde gestampft und gemahlen. Es dürfe keinesfalls gekocht werden. Er stellt uns die schwangere Frau und den zweijährigen Sohn vor. Im Hof steht das Motorrad des Taxifahrers. „Ich habe einen Schulabschluss und eine Ausbildung zum Mechaniker. Zuletzt habe ich einen Englischkurs besucht. Hoffentlich kann ich umziehen. Im Stadtzentrum möchte ich eine eigene Werkstatt aufbauen. Dann kann meine Frau mitarbeiten. Sie ist zurzeit arbeitslos“.
Auch John hat Pläne und zeigt Eigeninitiative wie viele Ruander, die wir kennenlernen. Auf unsere Frage hin, wie er den Genozidgedenktag am nächsten Tag begeht, sagt er: „Ich bin Opfer. Ich bin 35 Jahre alt. Meine Mutter wurde getötet, als ich 10 Jahre alt war.“

Nach 4-stündigem Marsch kehren wir müde und verschwitzt ins Hotel zurück. Die siebzehnjährige Rose erwartet uns. Als angehende Studentin für Hotel- und Tourismusmanagement jobbt sie in einem Restaurant, um die Eltern finanziell zu entlasten. Heute will sie uns helfen, Ruanda zu verstehen, den Aufbau des Landes nach dem Genozid. „Schrecklich. Wir haben unsere eigenen Nachbarn getötet. Das darf nie wieder geschehen.“

Auf ihrem Smartphone zeigt Rose uns ein Porträt Kagames, der für den Frieden und die wirtschaftliche Entwicklung des Landes Großes geleistet habe. „One child, one laptop“ sei ein aktuelles Regierungsprogramm. Rose zeigt sich stolz auf die Regierung. Sie zählt die vielfältigen Hilfen für die Opfer, die  Rehabilitation für die Täter, die Strategie der industriellen und technologischen Entwicklung, die gezielte Förderung von Frauen , eine fortschrittliche Familienpolitik, die strenge Umweltgesetzgebung und die Sicherheit im Land auf.

Fühlen sich junge Männer in Ruanda vielleicht als Verlierer angesichts der emanzipierten und erfolgreichen neuen Frauengeneration?“, wollen wir wissen aufgrund unseres eigenen Backgrounds. Die junge Frau scheint unsere Fragen manchmal  nicht nachzuvollziehen. „Jeder Schulabgänger kann staatliche Unterstützung erhalten, um im Handwerk tätig zu werden. Wer will, kann Arbeit finden. In Ruanda haben wir jetzt Gender Balance, Männer und Frauen haben gleiche Chancen.

Über einen Generationskonflikt erfahren wir nichts. Streit mit den Eltern gebe es vor allem schonmal im „Stupid Age“ während der Pubertät. „Kagame hat eingeführt, dass minderjährige Mütter die Schule beenden können. Früher wurden sie von den Familien verstoßen. Das ist vorbei.“

Rose fasziniert uns mit ihrem fast unerschütterlichen Selbstbewusstsein, aber auch ihrer Neugierde uns ausländischen Gästen und Deutschland gegenüber. „Wie seid ihr in Deutschland mit den Folgen des Genozids an den Juden umgegangen? Was ist mit den Tätern passiert? Wie ist Deutschland wirtschaftlich so erfolgreich geworden? Was tun die Bauern in Deutschland konkret gegen den Klimawandel?“

Im Gespräch bleibt kein Raum, über Kehrseiten der gelenkten Demokratie zu sprechen. Wir halten uns mit diesen Fragen zurück und wollen sie bei anderer Gelegenheit formulieren.

Hello Muzungu, Muraho! Ca va?

3. April 2019
Frühmorgens landet der Airbus von RwandAir weich auf dem Internationalen Flughafen der Hauptstadt Kigali. Beim Ausstieg fällt uns der Slogan der Fluggesellschaft ins Auge. „Fly the Dream of Afrika.“ Ein freundlicher Beamte setzt uns bunte Visastempel in den Pass. Übernächtigt steigen wir in einen Kleinbus.
Die Fahrt führt vorbei an grünen Hügel, durchgehend breiten Fahrradwegen und Reisfeldern nach Rwamagana, eine Provinzhauptstadt mit 50.000 Einwohnern im Osten. Unterwegs und beim ersten Spaziergang treffen wir auf Menschen, die uns neugierig mustern, ein fröhliches Muraho! Hello! Bon Jour! oder Karibu! zuwerfen.

Kinder spielen oder tragen Lasten. Die Schulferien haben bereits begonnen. An Fahrradtaxis oder Motorrädern warten ihre großen Brüder auf die wenige Kundschaft.

Betriebsam geht es auf dem Markt wie beim örtlichen Handwerk zu. Schneiderinnen, Schuhmacher und Friseur_innen arbeiten vor den Lädchen bei geöffneten Türen. Flugs sind Ebis Sandalen repariert, die Jacke wird gekürzt.

Die Kommunikation erfolgt oft mit Händen und Füßen.
Wir sprechen weder Kinyarwanda noch Swahili.
Murakozedanke heißt die erste Vokabel, die wir üben.

Gespräche entspinnen sich, sobald wir uns auf Französisch oder Englisch begegnen können. Überraschend schnell wird der Genozid von den Ruander selbst angesprochen- die Sehnsucht nach „Nie Wieder“. Der Alltag, mit Tätern Tür an Tür zu wohnen. Und was die Menschen in „Rwanda nziza“, dem neuen Ruanda gegenwärtig bewegt.

Assumpta, Wissenschaftlerin  aus Kigali 
Die Biologin absolvierte in Belgien ein Masterstudium. Sie arbeitet in einem Forschungslabor der staatlichen Universität. Als Mutter von 4 Kindern teilt sie sich mit ihrem Mann die häuslichen Aufgaben und Pflichten.
„Früher war es undenkbar, dass Frauen studieren. Heute besetzen wir entscheidende Stellen, z. B. im Parlament und in öffentlichen Behörden. Wir brauchen Wissenschaft und Forschung, um das Land voranzubringen. Ich bin stolz, Ruanderin zu sein. Nach dem Genozid haben wir in den letzten 25 Jahren so viel im Land erreicht. Mein persönliches Ziel ist es, zu promovieren. Mein Forschungsgebiet sind die Pilze.

Amani, 26 Jahre, IT- Ingenieur und Kellner
Ich habe ein Studium abgeschlossen. Ohne Beziehungen ist es sehr schwer, eine gut bezahlte Arbeit z. B. in einer Regierungsbehörde oder der Privatwirtschaft zu finden. Einige Jahre habe ich in den Golfstaaten gearbeitet. Ich habe dort gut verdient. Aber die Araber haben uns schlecht behandelt. Viele haben sich den Schwarzafrikanern gegenüber rassistisch und ignorant verhalten. Jetzt bin ich froh, in einem Hotel einen Arbeitsplatz zu haben. Ja, ich bin Ingenieur und arbeite als Kellner. Ich verdiene deutlich weniger. Aber ich habe meinen Seelenfrieden. Rassismus ist für mich nicht aushaltbar. Mein Land hat dazu eine eigene Geschichte. Ich wuchs in Uganda auf. Ein großes Problem für Ruanda hat  aus meiner Sicht der Arbeitsmarkt. Junge Menschen haben sogar nach einem Studium Probleme, eine Arbeit zu finden.“

Gisele, 18 Jahre, Abiturientin
Sie hilft in dem kleinen Lebensmittelladen ihrer Eltern aus. Gisele wartet auf einen Studienplatz mit Schwerpunkt Maschinenbau. „Damit kann ich meinem Land helfen.“  In der Freizeit tanzt Gisele in einer Folkloregruppe.
Sie erinnert sich an Besucher aus Deutschland in Rwamagana und zwar aus der Partnerstadt Kaiserslautern.


Theofil, katholischer Priester
In diesem Jahr feiern wir das 100-jährige Jubiläum der Kirchengemeinde. Die Kirche wurde schon Anfang des 19.Jahrhunderts gebaut. Bei der Sanierung helfen die Gemeindemitglieder aktiv mit und sammeln Spenden. Der überwiegende Teil der Menschen hier ist katholisch. Aber es gibt es auch evangelische Christen, z. B. immer mehr Frei- und Pfingstkirchen sowie die muslimische Gemeinde. Zwischen den Religionsgemeinschaften herrscht Friede und wechselseitiger Respekt.

Die größte Herausforderung? Das ist für mich als Pastor der Versöhnungsprozess nach dem Genozid 1994. Immer noch werden Täter aus den Gefängnissen entlassen. Die Kirche bietet jede Woche Gespräche an, damit sich die Menschen versöhnen. Die Menschen leben Tür and Tür. Viele sind traumatisiert. Das Wichtigste ist, dass die Opfer vergeben und die Täter Reue zeigen. Aber dies ist nicht einfach, I forgive you zu sagen.“

Diana, 24 Jahre, Hotelservicekraft
Ich möchte Politik studieren, weil mich die Geschichte besonders interessiert. Nie mehr sollen wir uns auseinander dividieren lassen in Batutsi und Bahuto. Wir alle sind Ruander. Mein Wunsch? Ich möchte genügend Geld zu sparen, damit ich studieren kann. Außerdem möchte ich dazu beitragen, dass alle Kinder in Ruanda zur Schule gehen können.“

 

Erstversuch Marokko

Schwerbewaffnete Polizisten patrouillieren durch Tanger. Im bunten Markttreiben fehlen heute die ambulanten Händler_innen aus Senegal, Kamerun, Gambia und anderen Staaten südlich der Sahara.
Razzien finden in Wellen statt, um Migrant_innen ohne Aufenthaltsstatus aufzuspüren, ihre Wohnungen und Handys kurz vor dem Ziel der Hoffnung zu zerstören. Bei klaren Sichtverhältnissen zeigt sich Europa am Horizont. Die Grenzpolizei füllt jedoch Busse, um Menschen in der Wüste Südmarokkos auszusetzen, falls eine Abschiebung in die Heimatländer nicht möglich ist.
Im Januar 2019 gewährte die Europäische Union weitere 148 Millionen Euro für den Ausbau des Grenzschutzes und die Integration. Das Königreich Marokko wird verstärkt zum Türsteher Europas ausgebaut, seit sich mit dem Staatsverfall in Libyen und der Abschottungspolitik Italiens unter der Regierung Salvini die Fluchtrouten verschoben. Waffen, Zäune, Navigationsgeräte und biometrische Pässe bekämpfen keine Fluchtursachen. Vorerst erhalten tausende Gestrandete z. B. von Caritas International Überlebenshilfe. Einzelne schützt das Kirchenasyl.

Ausgestattet mit EU- Reisepässen darf blauemurmel.blog  ein gastfreundliches Reiseland kennenlernen. 

Die Kapuze habe ich fest über die Ohren gezogen. Der marokkanischen Mehrheitsgesellschaft mag die Geste gefallen. Ich schütze mich vor den Böen. Bei 80 km/h wurde der Fährverkehr über den Atlantik eingestellt. Die direkte Überfahrt vom südspanischen Tarifa nach Tanger hätte eine halbe Stunde gedauert. Seefeste Schiffe legen 45 km entfernt im modernen Seehafen Tanger-Med an, den Bauch gefüllt mit Sattelschleppern internationaler Logistikunternehmen.

Spanien ist für Marokko der wichtigste Handelspartner. Im Frühjahr queren grüner Spargel und Erdbeeren die Meerenge. Die traditionelle Textil- und Lederindustrie hat an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt. Eine Kfz-Fertigungsindustrie, die Küsten- und Hochseefischerei sowie die Korkproduktion bieten Erwerbsmöglichkeiten.

Als Devisenbringer dienen landwirtschaftliche Produkte, Familien im Ausland, der Tourismus und vereinzelt Bodenschätze. Marokko wirft 75 Prozent des weltweit geförderten Phosphats auf den Markt. Die Verarbeitung findet auch im Land selbst statt, die eigene Chemie- und Düngemittelindustrie wächst.

Rückwärts reisen Kohle, Öl und Gas gen Marokko ein. Fossile Brennstoffe werden importiert. Ambitioniert klingt Marokkos Klimaziel für 2030, wenn Wind-, Solar-und Wasserkraft 50 Prozent des Stroms erzeugen sollen. Noch brummt das große Kohlekraftwerk Jorf Lasfar in El Jadida an der Atlantikküste, verantwortlich für ein Drittel des Stroms. Ökologischer Hoffnungsträger ist Ouarzazate, Weltmeister unter den Solarparks angesichts 365 Sonnentagen jährlich, 250 km südlich von Marrakesch. Dass zugleich die arme Landbevölkerung profitiert und nicht nur Batterien der EU gegen Devisen aufgeladen werden, bleibt zu hoffen.

Der afrikanische Nordzipfel: Der Spaziergang durch die engen Gassen der Medina beamt Reisende in den Orient. Datteln, Nüsse, Mandeln, farbenfrohe Oliven, Gewürzpulver, Apfelsinen, Saisongemüse, duftendes Brot, gerupfte Hühner, Kaninchen und blaue Keramik lachen. Ein leises „non merci, peut-etre demain“ genügt. Die Händler ziehen sich höflich zurück.


Verschmitzt lächeln ältere Männer. Die Jungen wirken eher abweisend, erschöpft von der Untätigkeit. Das Warenangebot übersteigt die echten Interessenten, die an den kalten Märztagen vorbeischlendern.
Die wenigen Frauen an den Marktständen vermeiden den Blickkontakt. Berberfrauen aus dem Rifgebirge bieten Petersilie, Knoblauch und Kopfsalat auf dem Boden ausgebreitet feil. Ihre geflochtenen Hüte muten asiatisch an.

In den Straßencafes rühren ausschließlich Männer im The de Mente, Marokkos stark gezuckertes Nationalgetränk. Selten verirrt sich eine Touristin hinzu. Morgens, mittags, abends treffen wir auf die gleichen Gesichter in den Cafes als Wohnstatt. Der prekäre städtische Arbeitsmarkt erzwingt den Müßiggang.

Möwenpick, Hotel Kampinsky, Hotel Intercontinental, Kasinos, Parkhäuser, breite Alleen- – Ungleichzeitig lebt Marokko, als Schwellenland und Land der Nomaden in der Wüste.

Im wasserreichen Nordwesten leben 45 Prozent der Bevölkerung von der Landwirtschaft. Der Sektor steht für ca. 17 Prozent der Wirtschaftskraft.
Auf 250 000 ha im Rifgebirge wird illegal Cannabis angebaut, das zu 70 Prozent den europäischen Markt beliefert. Geschätzt 1 Million Menschen leben mangels Alternativen von der Droge.

Casablanca, Rabat seien die weltoffenen modernen Städte. Ins eher konservative Tanger verirrten sich eher nur Durchreisende nach Europa, glaubt ein Senegalese, der sich vor Kurzem niedergelassen hat. Im Internet sehnt sich der französisch- marokkanische Filmemacher Nabil Ayouch in die liberale Gesellschaft der 80-ziger Jahre zurück, vor der streng religiösen Wende. Soeben wurde auch sein preisgekrönter Film Razzia im Heimatland verboten.

Trotzalledem reiben wir uns erstaunt in Tanger die Augen, wenn junge Frauen in Tigerhosen durch die Stadt spazieren, auf großwandigen Plakaten westlich gekleidete Frauen für Konsumartikel werben, ein feministisches Frauenfilmfestival ins Programmkino zu Barbara Streisand und Maria Stuart einlädt. Fatima Mernisssis Analysen zu den Frauen im Islam liegen auf dem Büchertisch. Studentinnen lassen teils das Haar im Wind flattern, während sie untergehakt mit ihren kopfbetuchten Müttern am Stadtstrand flanieren.

Hatten wir die Rufe der Muezzins und prächtige Moscheen erwartet, so überraschen die vielen christlichen Kirchen und Klöster, die Synagoge, der große jüdische Friedhof Tangers als Zeichen eines jahrhundertealten Miteinanders der Religionen. Seit 1492 leben aus dem Spanien der Reconquista vertriebene Juden in Tanger. Bis zur Unabhängigkeit Marokkos 1956 gehörte die Stadt zum spanischen Protektorat unter katholischem Einfluss. Die sakrale Architektur belebt das Stadtbild. Freitag als Feiertag? Sabbat ein Ruhetag? Den Sonntag heiligen? Anything goes hat es den Anschein, als ob jeder den Tag seiner Facon heiligen könne. Ein Seufzen und Schmunzeln. Frühmorgens gegen 5:00 Uhr rüttelt uns der Muezzin wach. Unser Hotel am Petit Socco liegt gegenüber einer schönen Moschee in der Altstadt.

 

Nebenbei genießen wir, uns bestens zu verständigen. In Tanger dominiert weiterhin das Spanische als Kolonialsprache. Das Institut Cervantes, Schulen, ein spanisches Theater halten die Tradition im babylonischen Stimmengewirr wach. Französisch? Spanisch? Englisch? Arabisch? Tamazight als Sprache der Berber? Jeder Kontaktversuch ist ein Testlauf, das Spanische oft von Erfolg gekrönt.

Sauerkraut, choucroute“ sagt Sprachtalent Ebi aus Versehen im Versuch, sich mit einem arabischen Shokran beim Koch für den köstlichen Eintopf Tahine zu bedanken.

Der Spracherwerb als Bildungsfrage, Hundertausende brechen jährlich die Schule ab. In Klassenzimmern sollen bis zu 70 Kinder sitzen, qualifizierte Lehrkräfte fehlen. Unter den geschätzten 33 Prozent Analphabeten Marokkos ist der Frauenanteil hoch.

Tangers Jugend steht am Zaun mit Blick auf Europa. Ob Kinder in den Straßen aus Spiel oder Not um Essen betteln, lässt sich zuweilen nicht unterscheiden. Verlässlich wirkt die Studie des marokkanischen Rates für Wirtschaft und Soziales aus dem Jahr 2017. Landesweit hätten 1,4 Millionen Menschen zwischen 18 und 24 Jahren weder einen Schulabschluss noch eine Beschäftigung. Die offizielle Jugendarbeitslosigkeitsquote von 10 liege in der Realität weit über 40 Prozent.

Wir sind Referendare und keine Terroristen“ schrieben Lehramtsanwärter auf ihre Transparente, als sie für bessere Arbeitsbedingungen streikten. Am 23. März trieben Wasserwerfer die Pädagogen auseinander. Berichtet wird von vielen Verletzten.

Obwohl wir nur wenige Tage  durch das nördliche Marokko rollten, bleibt viel Positives haften: Die süßen Kuchen, das köstliche Essen, die Freundlichkeit der Menschen gegenüber uns Touristen, weite grüne Frühlingslandschaften, das öffentliche Verkehrssystem, die orientalischen Märkte, die maurische Architektur …
Die politische und ökonomische Situation bietet jedoch Anlass zur Sorge und viel Bitterstoff. Nein. Auch Marokko kann nicht als sicheres Herkunftsland bezeichnet werden.

Weiterlesen?

Zeitschrift Matices über Menschenrechtsverletzungen an der EU Außengrenze bei Ceuta y Melilla
https://www.matices-magazin.de/archiv/90/spaniens-suedgrenze/
(aufgerufen am 01.04.2019)

Deutschlandfunk Reportage 04.01.2019 zur Situation der Jugend
https://www.deutschlandfunk.de/arbeitslosigkeit-und-bildungsnotstand-marokkos-jugend-sucht.724.de.html?dram:article_id=437481 (aufgerufen am 27.03.2019

Spiegel- online vom 01.11.2017 zu Fluchtursachen nach dem Aufstand in Al Hoceima
http://www.spiegel.de/politik/ausland/flucht-aus-marokko-armut-und-gewalt-treiben-die-menschen-in-die-boote-a-1175904.html
(aufgerufen am 27.03.2019)

Amnesty International 2017/2018 zur Lage der Menschenrechte https://www.amnesty.de/jahresbericht/2018/marokko-und-westsahara
(aufgerufen am 27.03.2019)

Zeit-online zur Debatte um Marokko als sicheres Herkunftsland 28.11.2018
https://www.zeit.de/2018/49/sichere-herkunftsstaaten-abschiebung-marokko-maghreb-staaten-asyl
(aufgerufen am 27.03.2019)

Spiegel-online zum aktuellen Lehrkräfte-Streik 24.03.2019
http://www.spiegel.de/politik/ausland/marokko-sicherheitskraefte-attackieren-lehrer-mit-wasserwerfern-a-1259387.html
(aufgerufen am 27.03.2019)

Neue Züricher Zeitung über den Filmemacher Nabil Ayouch 11.07.2018
https://www.nzz.ch/feuilleton/marokkaner-verstecken-ihre-frauen-zu-hause-ld.1401931
(aufgerufen am 30.03.2019)

Der Spielzeugmacher aus Tanger

Mein Wunsch? Ein Visum. Mit einem Koffer möchte ich durch Europa reisen. Meine Produkte packe ich ein, um Käufer zu werben. Später könnte ich die Ware vom Senegal aus exportieren“, erklärt Modou. Weggehen, um anzukommen, den eigenen Lebensunterhalt zu sichern. Seine Empörung über das verwehrte Recht auf Freizügigkeit schwingt mit. „Niemand verlässt die Heimat freiwillig für immer. Ich kehre gern in den Senegal zurück.“

Vor 5 Jahren machte sich der Tischler auf den Weg. Denn von der Weltwirtschaftskrise 2009 hat sich der westafrikanische Staat bis heute nicht erholt. Überteuerte Energie- und Lebensmittelpreise sowie hohe Zinsen schränkten Modous Erwerbsmöglichkeiten ein. Ein beschwerlicher Weg liegt hinter ihm.

Über Mauretanien erreichte Modou Marokko, nicht aber die Europäische Union. Dank seiner handwerklichen Fähigkeiten kann er mittlerweile das Einkommen für seine Frau und das Baby Mariam sichern. Eine kleine Wohnung ist angemietet. Gleichzeitig unterstützt er die Familie im Senegal, soweit es geht.

Bunt lackiertes Holzspielzeug und didaktisches Material stapeln sich im Regal der Werkstatt. Auch ein Flyer präsentiert die Angebotspalette.

Für eine Ladenmiete in der nordmarokkanischen Stadt Tanger fehlt das Geld. Der glückliche Umstand dennoch: Eine katholische Gemeinde stellt Modou die geräumige Werkstatt zur Verfügung.

Die christlichen Kirchen, das Rote Kreuz und die Caritas leisten Ersthilfe und Begleitung für zahlreiche Migrant_innen, die in Tanger ankommen. Den Wenigsten gelingt die direkte Weiterreise in die EU. Der Seeweg über den Atlantik erweist sich als gefährlich und kostspielig. Der selbstorganisierte Massenansturm auf die Zäune von Ceuta und Meilla misslingt mehrheitlich. Aus dem Transit- wird ein Ankunftsland.

Modou, Frau und Kind haben mittlerweile eine Aufenthaltserlaubnis erhalten.

Konflikte mit der Ausländerpolizei bestehen weiter. „Immer wieder hält die Polizei mich auf. Ich muss auf die Wache, um zu beweisen, dass ich der Mensch auf dem Ausweisdokument bin. Das bedeutet Stress. Nicht alle Polizisten verhalten sich korrekt.


Gegründet wurde eine Selbsthilfeorganisation der Menschen aus dem Senegal, in der sich Modou engagiert. Er berät Neuankommende und sammelt Geld.

Wer keine Wohnung hat, kann keinen Aufenthaltstitel beantragen. Aber eine Aufenthaltserlaubnis erhält nur, wer eine eigene Wohnung hat. Wir wollen eine Wohnung für Neuankommende mieten, sodass sie eine Adresse haben. Leider ist das sehr teuer. 3 Monatsmieten sind im Voraus zu bezahlen“, erläutert Modou das Köpenickprinzip.

Erfahrungen gibt Modou weiter.  „Als die Kirche zweimal in der Woche Spanischunterricht anbot, und zwar gebührenfrei, habe ich die Chance sofort wahrgenommen“, ergänzt er in fließendem Spanisch, eine lingua franca im ehemaligen Protektorat Spaniens, wichtig wie das Französische auch. „Ich helfe bei Übersetzungen, spreche außerdem Woloof, Französisch und Arabisch.“

Gleichfalls im interreligiösen Dialog wirkt  Modou als Brückenbauer. „Es gibt nur einen Gott, wenn auch unterschiedliche Propheten. Sufis haben keine Probleme, gemeinsam mit Christen in der Kathedrale zu beten.“

Kaum sind die Worte gefallen, klopft es an der Werkstatttür. Eine Mitarbeiterin der katholischen Gemeinde überreicht Modou ein Einladungsschreiben. „Sei am Samstag um 7:00 Uhr pünktlich am Bus.“ Modou freut sich auf den Besuch von Papst Franziskus am 30. März 2019 in der Hauptstadt Rabat, 200 km von Tanger entfernt. Wird der Papst sich verstärkt für die Migrant_innen in Marokko einsetzen?


Unlängst überreichte der Bischof dem Papst bereits ein von Modou gefertigtes Schiff.

Fröhlich und beschenkt verlassen wir die  Werkstatt, nicht ohne die Emailadressen zu tauschen, um in Kontakt zu bleiben, im gegenseitigen Austausch Kraft zu tanken, wir für
unser Engagement  in der Flüchtlingsinitiative Kulturbuntes Bodenheim.
www.kulturbuntes-bodenheim.de.

Für mich ist es so wichtig zu erleben, dass sich Menschen in Europa für Geflüchtete einsetzen“ , gibt uns Modou zum Abschied mit auf den Weg.

 

Transit

Sand klebt in den Rucksackritzen. Auf die Netzhaut und Kamarachips wurden tausend Bilder gebrannt. Reich an wunderbaren Begegnungen und teils bedrückt vom Zustand der Erde ziehen wir um.

Bei unserer Landung in Madrid liegen 5 Monate hinter uns. Adiós Lateinamerika, Afrika winkt.

Eingeschoben wird ein Familientreffen in Andalusien, ein Wiedersehen mit den Liebsten, eine Verschnaufpause für die blaue Murmel in vertrauten europäischen Gefilden.

Mit Rückenwind dauerte der Flug von Bogotá aus Anfang März nur 7 Stunden. Nah bleibt Lateinamerika sowieso an vielen andalusischen Stätten.

Während wir durch Sevilla radeln, bestaunen wir prächtige Kirchen und Paläste. Großzügig angelegte Straßenzüge prägen die Stadt, gebaut aus Gold und Silber der Conquista.

Ähnlich präsentiert sich die Hafenstadt Cadíz, wenngleich sie sich auf ein Halbinselchen zwängt und Salzwasserluft an den Gemäuern nagt.

Stets wehen schroffe Winde, die jahrhundertelang die Armen Andalusiens übers Meer bliesen, Non-Stop gen Kolumbien. Wir strecken die Hände ins überraschend kühle Wasser. An der Karibikküste bot uns der gleiche Atlantik vor Kurzem noch aufgeheiztes Badewasser.

Angekommen in Conil de la Frontera führt uns Mario durch das Viertel der Fischer. 27 seien geblieben. Die Gentrifizierung tobt. Dem weißen spanischen Städtchen ergeht es nicht anders als Cartagena an der Karibik. Über AirnB wird Wohnraum beschleunigt umgewidmet, beschädigt wird die soziale Struktur, wenn  ausländische Investoren Einheimische verdrängen, Feriendomizile dominieren.

Der Tourismus ersetzt tradierte Fangnetze. Dramatisch dezimieren sich die Fischbestände an allen Küsten des Atlantiks. Im Boom 2018 überschwemmten 80 Millionen Tourist_innen Spanien, ungeachtet des bedenklich knappen Wasserreservoirs.

Nur Reisende aus der Subsahara hält man auf.

In Tarifa am südlichsten Punkt Europa thront Spaniens größtes Abschiebegefängnis.

Die gigantische Festung wird von der unruhigen See umspült. Wo Atlantik und Mittelmeer am äußersten Zipfel Europas zusammenstoßen, vibriert und torkelt die See. Die bloße Vorstellung, in Nussschalen über die raue See zu schippern, lässt uns erschaudern. Dabei gilt die Meerenge seit 2018 als Hauptroute angesichts der inhumanen europäischen Migrationspolitik.

Mehr Verzweiflung als Mut treibt Menschen trotz der gefährlichen Strömung zum Aufbruch nach Europa an. Wie Ikarus mögen die später Inhaftierten vom Fliegen träumen, gescheitert an 7 km der Meerenge von Gibraltar. Sorg- und ahnungslos erproben sich nebenan der Gefängnisburg Touristen im Kite-Surfing am Strand.

Das andere Gesicht Spaniens: Die Zivilgesellschaft engagiert sich. Ansprechende Grafftiti mahnen am Hafen von Tarifa.

Für März angekündigt werden ein afrikanisches Filmfestival, eine Demonstration vor dem Abschiebegefängnis, die Kritik der NGOs, dass Marokko ähnlich wie Libyen von der EU eingespannt wird.

 


Im Hafen von Tarifa liegt die Salvamento Maritimo zur Seenotrettung, an der Ausfahrt behindert.
http://www.salvamentomaritimo.es/# (aufgerufen am 22.3.2019)

Dennoch lässt sich im grünen andalusischen Frühling wunderbar wandern, dem Wind trotzend stapfen wir über den Küstenweg entlang der EU- Außengrenze, den Blick auf das marokkanische Rifgebirge am Horizont, den Zwiespalt im Bauch. Ach Europa, deine Menschenrechte, seufzt die blaue Murmel allerorts.

Unser Zuhause auf der iberischen Halbinsel: Ein großer Familientisch steht im Appartement, wir genießen es, gemeinsam zu kochen, entspannt spazieren wir über die kilometerlangen Sandstrände, sogar in der Nacht, frotzeln herrlich, lachen, diskutieren angeregt und vertraulich.

Wir freuen uns, auch Ana und Kristina von der Asociación Pro Derechos Humanos de Andalucia APDHA wiederzusehen. Vor 2 Jahren lernten wir die Mitarbeiterinnen der Menschenrechtsorganisation auf dem Open Ohr- Festival in Mainz kennen. Ausgetauscht werden Gemeinsamkeiten, die wir teilen: Kristinas Unterricht an Schulen, um demokratisches Handeln zu fördern, Rassismus abzubauen; Anas Engagement für eine humanitäre Flüchtlingspolitik, das Alarmtelefon hat Ana stets angeschaltet; die Anklage der EU- politischen und ökonomischen Verhältnisse.
https://www.apdha.org/

Que no te confundan“, lass dich nicht verwirren- lautet die aktuelle Kampagne von APDHA wider den Rechtspopulismus und mediale Hetzkampagnen. „Knochensucher“ titulierte  im März 2019 ein Abgeordneter der VOX die Menschen, die sich um die Aufarbeitung der Diktatur bemühen. 40 Jahre jung ist Spaniens Demokratie. „In den Familien wird bis heute geschwiegen. Meine Oma sagt, sie wisse nicht, was mit ihrem Bruder während des Bürgerkriegs geschah“, berichtet Kristina.

VOX, die spanische Partei der Neuen Rechten regiert seit 2018 Andalusien indirekt mit. Denn die Regierungskoalition aus der konservativen Partido Popular (PP) und Ciudadanos ist auf ihre die Stimmen angewiesen. Anders als in Deutschland scheint die Presse überwiegend Argumente der Konservativen und Rechtspopulisten widerzuspiegeln. Der demokratischen Opposition und den Nichtregierungsorganisationen werden wenig Zeilen und Sendezeiten in den Kanälen eingeräumt. Sie bleiben weitgehend auf soziale Netzwerke angewiesen. Um die nach 4 Dekaden abgewählte sozialdemokratische Regierungspartei PSOE ist es derzeit eher still.

Die Katalonienfrage überlagert öffentliche Debatten.

Über die Situation der Menschen im elften Jahr der Wirtschaftskrise erfahren wir wenig aus Zeitungen, gleichwohl aber in den Gesprächen. Ein Psychologe mit 3 Masterabschlüssen kellnert für 5, 50 € im Restaurant. Ein Ingenieur lebt vom ökologischen Gemüseanbau im eigenen Gärtchen, 45 Jahre alt absolviert er nebenbei ein Studium der Betriebswirtschaft ohne konkrete Aussicht auf Anstellung. Erwachsene ziehen bei den Eltern wieder ein, weil bezahlbarer Wohnraum fehlt. „Die Menschen in Katalonien haben das Recht selbst über die Unabhängigkeit von Spanien zu entscheiden“, hören wir in Gesprächen. „Jedoch sorgen wir uns, dass ein elitärer Staat entsteht.“

In Algecira endet unser der Transitaufenthalt, die Gradwanderung wird fortgesetzt. Im gigantisch großen Hafenbecken ankern Container- und Personenschiffe aus Afrika, Amerika und Asien.

Nach Tanger- Med in Marokko treiben wir am 23. März auf einer Giga-Fähre. Denn für kleinere Boote bleibt die Ausfahrt bis auf Weiteres untersagt. Es stürmt, während die blaue Murmel Kurs auf Afrika nimmt.

Weiterlesen

Henn, Marian (2018), Wollen sie eine Mauer ins Meer bauen? Mobilität, Repression und Widerstand im spanisch-marokanischen Grenzraum.
In: Matices. Heft 95.  3/2018

Urban, Thomas (2018),   Aufgewühlt- wie Spanien mit der „afrikanischen Welle“ umgeht
https://www.sueddeutsche.de/politik/fluechtlinge-spanien-tarifa-1.4081149
(aufgerufen am 25.03.2019)

Klimastreik in Cadíz

Das Alter überrascht. Vor der Stadtverwaltung von Cadíz in Andalusien stehen 14-und 15jährige Schüler_innen mit selbstgestalteten Plakaten vor dem Bauch.
El clima esta cambiandose, porque nosotros no, das Klima verändert sich, warum verändern wir uns nicht.“
Und „Los responsables son los multinacionales“, liest sich die Kapitalismuskritik.

Probleme mit der Schule gebe es eigentlich nicht wegen des Streiks. Ab 14 haben Schüler_innen ein Streikrecht. Für Jüngere sei die Teilnahme ohne Entschuldigung etwas komplizierter. Erst vor Kurzem streikten die Schüler_innen für Reformen im Bildungssystem. Die Schülergewerkschaft organisiert die Proteste.

In Cadíz folgten geschätzt 300 junge Menschen dem Aufruf zum weltweiten Klimastreik. Die pralle Frühlingssonne demonstriert indirekt mit, denn für einen 15. März ist es in Andalusien 2019 ungewöhnlich warm. Ausbleibende Niederschläge bedrohen die Wasserversorgung auf der iberischen Halbinsel. Selbst an der Atlantikküste regnete es im Winter 2019 zu wenig. Längst warnen Klimaforschende vor der Ausbreitung von Wüsten im 21. Jahrhundert.

https://www.sueddeutsche.de/wissen/klimawandel-die-wueste-kommt-1.3260914 (aufgerufen am 19.03.2019)

El problema es el sistema, das System ist das Problem“, skandiert die Jugend, ein wenig enttäuscht ob der verhaltenen Beteiligung am Friday4Future in Cadíz. Noch eine Woche zuvor, am 8. März versammelten sich Zehntausend zum Frauenstreik vor der Stadtverwaltung.

Dennoch zeigt sich Cristina, Mitarbeiterin der andalusischen Menschenrechtsorganisation APDHA beeindruckt. „Die Frauen wie heute die Schüler_innen haben sich selbstständig organisiert, ohne Unterstützung der politischen Parteien. Die sozialen Bewegungen lassen sich nicht instrumentalisieren.“ http://www.apdha.org

Die Einflussnahme auf die bevorstehenden Wahlen wird erhofft. Am 28. April wählt Spanien ein neues Parlament, im Mai finden die Wahlen zum Europaparlament statt. Vielleicht beteiligten sich auch darum landesweit hunderttausende Frauen und viele Jugendliche in Spaniens Großstädten. Weltweit zeigten Schüler_innen an in 120 Ländern an 2000 Orten zivilen Ungehorsam, um den Klimawandel aufzuhalten.

Was soll geschehen? „Wir brauchen erneuerbare Energien. Der Fleischkonsum muss reduziert werden, Plastikmüll ist zu vermeiden,“ mahnen die 14-jährigen.

No tenemos un planeta B, wir haben keinen anderen Planeten“  Den bräuchte Spanien.
Zwei Drittel des Landes leiden unter der Trockenheit, insbesondere das Landesinnere, Galizien, Katalonien und Andalusien.

Trockene Felder, sterbende Gärten. Bericht. Deutschlandfunk 17.02.2017
https://www.deutschlandfunk.de/suedspanien-trockene-felder-sterbende-gaerten-durch-den.724.de.html?dram:article_id=378372 (aufgerufen am 19.03.2019)

Spanien trocknet aus. Kommentar von Reiner Wandler, taz 24.11.2017
http://www.taz.de/!5462563/ (aufgerufen am 19.03.2019)

„Erde in bewohnbare Architektur verwandelt“ Das Terracottahaus

In der kolumbianischen Kleinstadt Villa de Leyva baute der Architekt, Baumeister und Künstler Octavio Mendoza ein 500 qm  großes Haus. 
Die Kleinstadt liegt auf 2150m Höhe in den Anden. Das Haus hielt bislang den teils heftigen  seismischen Erschütterungen  stand. Das Baumaterial gleicht thermische Schwankungen aus. 400 Tonnen Lehm wurden während der Bauphase von 1999 bis 2013  gebrannt, um die Erde in bewohnbare Architektur“  (O. Mendoza) zu verwandeln. Der künstlerische Anspruch verbindet sich mit der nachhaltigen Bauweise. Als „Ort der Inspiration“ zieht  das Terracottahaus viele Besucher_innen an.

http://www.casaterracota.com/web/index.php?lang=en

 

In den Gärten Bogotás

Mittwoch 6. März
Gastgeber Christian erzählt uns die Geschichte seines Stadtviertels und stellt  uns Betty vor, die sich mit anderen für den kommunalen Gemeinschaftsgarten engagiert.  

Eine Regenwurmzucht, Tabakpflanzen zur ökologischen Schädlingsbekämpfung, Obstbäume, ein großer Kräutergarten, Gemüse und Blumen, Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren und die Nachbarschaft zur Ernte einladen- auf ca. 1500 qm erstreckt sich die grüne Oase in Nuevo Mozu, ein Stadtteil im Süden der 8 Millionen Metropole Bogotás.

Das ehemalige Trainingsgelände für Polizeischüler gehört der Kommune. Die Bürger_innen leisteten Überzeugungsarbeit, um das Terrain gemeinschaftlich für den ökologischen Gartenbau zu nutzen. Denn seit der Schließung der Polizeischule okkupierten Drogenabhängige und -dealer das verwahrloste Grundstück, das unmittelbar an die öffentliche Grundschule grenzt.
Pflanzen, Werkzeuge, Regentonnen- wir finanzieren uns über Spenden, von der Stadt erhalten wir keine Zuschüsse“, erklärt Betty. Autodidaktisch und unterstützt durch den Botanischen Garten der Hauptstadt bildete sich die Graphikdesignerin fort, um ökologischen Landbau zu betreiben. Als Ruheständlerin widmet sie ihre Zeit und Expertise dem Gartenprojekt. Nach Feierabend und wochenends beteiligen sich Menschen aus der Nachbarschaft in der indigenen Tradition der Gemeinschaftsarbeit Minga.

Soeben wird eine Laube errichtet, die vor Sonne und Regen schützt. „Wir sind Mitglied im Red  Agroecologica del Sur de Bogota, im Netzwerk, um unsere Erfahrungen auszutauschen und die Lobbyarbeit zu organisieren. Die Laube soll als Versammlungsraum dienen“, erläutert Betty.
Leider müssten sie den Garten mittlerweile umzäunen, um Plünderungen zu verhindern.

Ansonsten teile man die Arbeit und den Ertrag „Die Familien sind froh, in der Stadt an die landwirtschaftlichen Traditionen wiederanzuknüpfen. Gleichzeitig wird das Gemeinschaftsgefühl im Stadtteil gestärkt.“

 

Sorgen bereitet zunehmender Starkregen, der die Pflanzen schädigt und das Grundstück überschwemmt. Umso wichtiger wird es, junge Menschen in der Stadt für eine nachhaltige Lebensmittelproduktion und den Erhalt der Biodiversität zu sensibilisieren und Schulklassen einzuladen. „Wir kämpfen gegen den Klimawandel an, gegen Agrarkonzerne, gegen die Genmanipulation.“

http://cityfarmer.info/peace-plants-and-hip-hop-in-colombia-south-america/  
(aufgrufen am 12.03.2019)