An der Grenze

Von oben der Schock: Eine durstige Savanne inmitten der kalendarischen Regenzeit rund um Kenias Hauptstadt. Im letzten halben Jahr fielen nur wenige Tropfen. Es hätte längst regnen müssen, eine Flugstunde vom üppig grünen Ruanda entfernt. Die katastrophalen Dürren der letzten Jahre scheinen sich in Ostafrika zu wiederholen.

Die blaue Murmel landet am 20. April in Nairobi. Menschen in weißen Kitteln umlagern die Gangway. Im Flugzeug füllten wir fieberfrei die Selbstauskunft aus. Keine Symptome von Ebola. Im Kongo wurden seit August 2018 über 1200 Fälle gemeldet, ohne dass sich der Virus bislang in den Nachbarländern verbreitet hat. Vorsichtshalber misst eine Wärmebildkamera die Körpertemperatur der ankommenden Passagiere.

40 Euro kostet ein Visum, gültig für maximal vier Wochen. Nach 8 -monatiger Weltreise und über 75 unterschiedlichen Schlafplätzen wollen wir im Mai zurück in Deutschland sein, dankbar für wunderbare Begegnungen und nachdenklich, was den Zustand der Murmel betrifft.

In Nairobi besuchen wir einen alten Freund. Hellmuth lernten wir vor 30 Jahren als Mitarbeiter des UNHCR in Mogadishu kennen. Vom Flughafen braucht es eine Stunde in den nordwestlichen County Kiambu. Die Smogglocke über der Megacity verschwindet im Rückspiegel, je näher wir den Red Hills kommen.

Bypass heißen teils noch im Bau befindliche Umgehungsstraßen, angelegt als zweispurige Stadtautobahnen. Dem totalen Kollaps wird in der 4 -Millionen- Stadt wenig vorgebeugt. Stadtaus- und einwärts rollen überwiegend PKWs und Lastkraftwagen durch den Linksverkehr. Überfüllte Kleinbusse, Matatus genannt zwängen sich wagemutig auf die unbefestigten Seitenstreifen, Eselskarren und die wenigen Fahrräder umschlingernd. Zwar ist der überfällige Ausbau eigener Bustrassen in der Planung, doch aufgrund enger Straßen schwierig zu bewerkstelligen. Die Korruption im Land gilt als weiteres Nadelöhr einer nachhaltigen Stadtplanung.

Als u.a. der Stadtwald Karura Forest, eine grüne Lunge Nairobis vor der Bebauung gerettet werden konnte, erhielt 2004 Wangari Maathai den Friedensnobelpreis für das Green Belt Mouvement, ihren engagierten Einsatz für Wiederaufforstungsprogramme. Längst bräuchte es Preise für alle, die die blaue Murmel von Einwegplastik befreien. Petflaschen pflastern gnadenlos auch Kenias Landschaften.

Auf der zweispurigen Ausfahrtsstraße fliegen wir an Kibare Slum vorbei, eines der größten Armenviertel des Kontinents, gebaut aus Pappe und Wellblech. Von geschätzt 45 Millionen Kenianern leben über ein Drittel unterhalb der Armutsgrenze- obgleich das Land stete Wachstumsraten von über 5 Prozent aufweist und sich ein wachsender Mittelstand herausbildet.

Jährlich drängen 800.000 Jugendliche auf den kenianischen Arbeitsmarkt, teils ohne ausreichende Qualifikationen, teils mit Universitätsabschlüssen, die von der Wirtschaft nicht anerkannt sind. Offiziell zählt man eine Jugendarbeitslosigkeit von 20 Prozent, die Dunkelziffer liegt in der stärksten Volkswirtschaft Ostafrikas gewiss höher.

Und ach- Kenia hat sich dramatisch verschuldet. Für Bildung- und Gesundheit fehlen Gelder, die in gigantische Großprojekte gesteckt wurden, z. B. in den Bau eines Kohlekraftwerks auf Lamu, Hafenanlagen, die im Bau befindliche Eisenbahnlinie zwischen Mombasa und Kampala, die Millionen verschlang und droht, als halbe Bauruine zu enden und für den Warenverkehr zwischen dem Indischen Ozean und Ostafrika nicht ausgelastet zu werden.

In direkter Nachbarschaft treffen Bretterbuden auf luxuriöse Shoppingmalls und halbfertige Neubausiedlungen für Kenias aufstrebende Mittelklasse aufeinander. Durch Schranken gesicherte Gated Communities mit eigenem Wachpersonal sollen den Bürger_innen besserer Viertel ein Gefühl von Sicherheit vermitteln. Provisorische Marktstände zeugen vom alltäglichen Kampf um Einkünfte.

Schulpflicht in Kenia Hin oder Her- selbst Grundschüler schicke man nachhause, wenn sie das Geld für die Schuluniformen oder Unterrichtsmaterialien nicht aufbrächten.

Dass politische Parteien sich in Kenias Demokratie über ethnische Gemeinsamkeiten definieren, bleibt Westeuropäer_innen schwer verständlich. Kenyatta versus Odinka. Kikuyo oder Luo? Nach gewaltsamen Auseinandersetzungen wurde das Wahlergebnis 2017 annulliert. Bei der erneuten Wiederwahl bestätigte sich der amtierende Kenyatta. Für viele Luo schien Odinka der Bessere.

Warum fragen wir? Odinka sei „nicht korrupt“, meint unser Fahrer auf dem Weg zu unseren Gastgebern. Auf Druck hin gaben sich beide Kandidaten zunächst wieder versöhnlich die Hand.

Wie viel Macht hat der Präsident? Hat die förderale Verfassungsrefom von 2010 die Demokratie gestärkt?

Seit die 47 Countys, also die Verwaltungsdistrikte einen eigenen Haushalt verwalten, hat die Korruption eher zugenommen. Doch politische Entscheidungen beziehen die Menschen jetzt mehr ein. Sie können die Gouverneure abwählen.“

Die Pressefreiheit ist gewährt. Die Zeitungen berichten frei über die skandalösen Machenschaften. Am Ende passiert nichts. Die Straffreiheit fördert das Demokratiedefizit. Die Justiz hinkt. Es mangelt an Moral, die Regeln einzuhalten. Wer das Gesetz übertritt, versteht es, sich bei den schlecht bezahlten Polizisten und Richtern freizukaufen“, klagen die kritischen Köpfe im Land.

Das Auto nähert sich Red Hill. Trotz der Dürre führen die Bäche überraschenderweise noch Wasser, hohe Bäume spenden Schatten. Bauern bewirtschaften die Felder für den Eigenbedarf. Ein kleiner Garten Eden im Nordwesten, anders als die trockene Savanne am Südrand der Hauptstadt. Die Region Limuru galt von jeher als wasserreich.

Weite Teefelder erstrecken sich über die Hügel. Die britischen Kolonialherren brachten die Pflanze aus Indien mit. Kenia ist heute der weltweit größte Teeexporteur. Ein grüner Pelz auf roter Erde- bitter schmecken die Berichte über Pestizideinsätze, Atemwegs-und Hauterkrankungen.
Pro Kilo erhalten die Pflücker_innen 20 Cent, die die Arbeitsplätze mangels Alternativen annehmen.

Zudem entdeckten Blumenfarmer aufgrund der guten klimatischen Bedingungen den Nordwesten Kenias. Jede dritte Importblume in Deutschland wird in Kenia gezüchtet, das neben Äthiopien, Kolumbien und Ecuador den europäischen Markt bedient.

Für die großen Farmen wird Wasser umgeleitet. Das Fischsterben im Lake Naivasha soll nachgelassen haben, seitdem deutsche Entwicklungsexpert_innen der GiZ den Einsatz von Pestiziden verringerten. Während uns das Weltwissen über die Blumenzüchtung im globalen Süden deprimiert und welk aussehen lässt, kommen uns am Abzweig der Limuru Road fröhliche junge Frauen singend entgegen. „Habari Muzungu“, winken sie uns lachend zu. Möglicherweise reguliert sich am Red Hill das Wasserproblem, indem die privaten Betreiber der Blumenfarmen lediglich Setzlinge für den Export züchten.

Es gibt noch viel zu entdecken und zu bemurmeln.

Ein kunstvoll verziertes Tor öffnet sich, als der Fahrer am Red Hill hupt. Drei große Hunde springen uns bellend entgegen. Karibu willkommen. Hellmuth und Erica schenken uns alle Zeit für landeskundliche Einblicke ins Kenia heute. Zwei Unruheständler_innen, die sich mit 67 plus als Kunstförderer in Kenia niederließen. Vorausging ein langes Arbeitsleben an Brennpunkten der Entwicklungszusammenarbeit.

Begeistert verschwindet Ebi im Zeitungskorb mit den gesammelten Ausgaben der Tageszeitung Daily Nation.

Autor: blauemurmel

Elisabeth Henn & Ebi Wolf 55294 Bodenheim

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