Kein Stern über dem Hostal
Ein Fliegengitter fehlt, die Balustrade grenzt an den üppigen Regenwald. Um zwei Uhr ist für mich die Nacht vorbei, als sich eine Fledermaus von außen auf das Moskitonetz setzt. Tollwut- die einzig rationale Erklärung für die mangelnde Scheu des flugtauglichen Tiers. Ebi an meiner Seite lässt sich partout nicht wecken. Bis zum frühen Morgen halte ich Wache, damit sich der Überraschungsgast nicht durch das Netz frisst.

Die Notunterkunft bezogen wir mit gemischten Gefühlen. Ein dreistöckiges, unter den Tritten der zumeist jugendlichen Backpacker in Schwingungen versetztes Gerüst ist mit bunten Tüchern behängt. Bloße Laken trennen als Zimmer verkaufte Verschläge voneinander ab. Die Privatsphäre leidet. Die Wasserversorgung fällt zeitweilig aus, Stromkabel hängen aus der Wand. Im dunklen Flur geben wir uns Mühe, nicht die Hühnerleiter hinabzustürzen. Morgens fühlt sich die Wäsche klammer als am Vortag an. Letzteres ist ausnahmsweise nicht den fehlenden Investitionen des Hostalbesitzers geschuldet, sondern dem tropischen Klima an der Karibikküste. Außer der guten Internetverbindung funktioniert nichts- ohne weitere bizarre Details aufzuführen.

Während des Saisonrummels brauchten wir dringend einen Unterschlupf, als Alternative zum abgesagten Aufenthalt in Nicaragua. Am Morgen entpuppt sich die dreiste Fledermaus als erstaunlich großer Falter, willkommen in der Fauna! Ebi wird erst durch das Konzert der Brüllaffen wach. Die Nacht ist überstanden.

Philosophen- Frühstück
Zum Reis- und Bohnen- Frühstück tappen wir in ein Soda, d.h. in eine einfache Gaststätte mit regionaler Küche.
Ein junger Mann am Nachbartisch fällt uns auf. Philosophiestudent Julian liest Siddartha von Hermann Hesse in deutscher Sprache. Er möchte „die großen Philosophen in der Originalsprache lesen können“.

Sein Freund Hansel brach das Studium für einen gut bezahlten Job ab. Seine 7-stündigen Nachtschichten im Callcenter werden in Dollar entlohnt, die achte Stunde erhält Hansel als Zulage. Beide klagen über ihr zweigeteiltes Land. Nur im zentralen Hochland in und nahe der Hauptstadt gebe es spannende Kulturangebote, kaum in den ländlichen Regionen längst der Küsten und Grenzen. Der Traum aus Costa wegzugehen, scheint immer präsent. „Anderseits“, wirft Julian ein, „ gibt es viele Themen, die wir aktiv anpacken müssen, den Kampf gegen Plastik und Umweltverschmutzung, mehr Toleranz für sexuelle Minderheiten. Unsere Gesellschaft ist sehr konservativ und zum Teil auch sehr religiös.“

Hansel und Julian beunruhigt, dass bei den Präsidentschaftswahlen im Sommer 2018 beinah der evangelikane „singende“ Prediger Fabricio Alvarado gewonnen hätte. Sein Programm wandte sich vor allem gegen die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe, Schwangerschaftsabbrüche und den vermeintlichen „Gender- Wahn“. In den ärmeren Regionen haben die Freikirchen und Sekten ungeheuren Zulauf. Allein 8.000 Gemeinden soll es mittlerweile im Land geben, Tendenz steigend.

Fußball als Toröffner
Fußballfan Franklin hört, dass wir aus Deutschland kommen. Er will wissen, wie es „El Kaiser“- Beckenbauer gehe.

Die Deutschen seien so erfolgreich und diszipliniert, der Arbeitsethos fehle in seinem Land. Franklin stößt der zunehmende Konsumismus der Ticos auf. Um sich ein überproportioniertes Auto als Statussymbol zu leisten, verschulden die Menschen sich und arbeiten Tag und Nacht. „Doch wer kümmert sich um die Kinder, die oftmals sich selbst überlassen bleiben?“

Franklin, Obst- und Gemüselieferant für die regionalen Restaurants, genießt sichtlich den Austausch mit uns in seiner Frühstückspause: „Wir leben hier oftmals in den Tag hinein und betreiben keine Vorsorge etwa im Falle von Krankheit oder Arbeitslosigkeit. Ach, ich glaube, das ist das Erbe der Spanier, oder?“, rückversichert er sich.
Silvester – eine Wanderung
Der öffentliche Bus setzt uns im Nationalpark La Cahuita ab, 15 Minuten nördlich von Puerto Viejo.

Das Jahr klingt für uns mit einer vierstündigen Wanderung durch den Regen- und Mangrovenwald aus. Affen turnen hoch auf den Bäumen, Faultiere „hängen ab“. Dichtes Grün schützt vor der Sonne.


Am nahen Strand knallen hohe Wellen gegen das Korallengriff, die das Schwimmen auch angesichts der Strömung im Dezember gefährlich machen. Zum Schnorcheln braucht es einen Guide. Costa Ricas Karibikküste steht zum größten Teil unter Naturschutz. Der Fischfang bleibt auf die Pazifikküste und Flüsse beschränkt.


Gepflegte Stege, teils sandiger Boden und Wegkennzeichnungen lassen uns gut vorankommen, bis Parkwächter José zu einer Pause einlädt. Josés Arbeitgeber, die staatliche Nationalparkbehörde betreibt den bei nationalen und internationalen Gästen beliebten Park gemeinsam mit der Kommune Cahuita.

„Unsere größten Probleme? Der steigende Meeresspiegel, der die Uferlandschaft abträgt. Und die Verschmutzung der Flüsse mit Pestiziden, die so ins Meer gelangen.
Costa Rica versteht allerdings, den Schatz der Biodiversität als touristische Einnahmequelle zu nutzen. Es gibt Gespräche und Verhandlungen mit den Agrarkonzernen, um die empfindlichen Mangroven und das Riff zu schützen“.

Auf das Erdgasbohrland inmitten der Parkidylle angesprochen, erklärt Josè: „Vor vielen Jahren wurde Erdgas gefunden. Zwar wäre mit modernster Technologie heute die Ausbeute möglich, doch sind wir inzwischen als Nationalpark ausgewiesen und daher geschützt.“

Strandleben
Das Nachmittagslicht setzt zum Jahreswechsel auf der nördlichen Halbmurmel gegen 15:00 Uhr ein, ab 18:00 Uhr herrscht Finsternis. Von der Wanderung erholen wir uns am Strand von Puerto Viejo, ein touristischer Hotspot mit bunten kleinen Hotels und Restaurants.

Die südliche Ostküste verfügt erst seit 20 Jahren über eine Straße und eine gesicherte Strom- wie Trinkwasserversorgung. Zuvor war sie abgeschnitten vom Rest des Landes. Im einsetzenden Boom ließen sich u.a. viele Ausländer aus aller Welt nieder.

Entlang der Küste lässt es sich wunderbar wandern, nur selten treffen wir auf abgezirkelten Privatbesitz. Zu hoffen bleibt, dass sich der beschauliche Standard dank hoher staatlicher Naturschutzauflagen hält. Denn überall werden Parzellen zum Kauf angeboten.

Die See schillert heute gräulich wie der karibische Himmel. Alle 24 Stunden spätestens entladen sich von oben die Wassermassen.

Großfamilien und Freundeskreise vergnügen sich im Schatten der Kokospalmen, ausgerüstet mit Kühltaschen, Grill und Lautsprecherboxen für die Calypsomusik. Vereinzelt bieten kleine Büdchen sowie ambulante Händler Kokosmilch, frittierte Teigtaschen, aber auch Surfbretter und Mieträder an.


Ausländische Touristen setzen sich der prallen Sonne aus, wenn sie denn scheint. Badende planschen am Ufer des wilden Meeres, erstaunt über Wagemut und Geschick der Surfer.

Während ich zu schwimmen wage, kommt Ebi in Kontakt zu Guillermo aus Alajuela. Als Angestellter einer us-amerikanischen Bank in San Josè benötigt er im täglichen Stau mehr als 1 Stunde für den Weg. „Ich habe mir ein Fahrrad zugelegt. Damit bin ich jetzt wesentlich schneller“.
Guillermo problematisiert die steigende private wie öffentliche Verschuldung. „Viele der Kreditverträge werden auf Dollarbasis abgeschlossen. Das Austauschverhältnis zu unserer Colones-Währung verschlechtert sich zunehmend. Entsprechend steigen die Belastungen bei der Rückzahlung der Kredite.“

„Costa Rica verliert Arbeitsplätze in der Hightech-Industrie. Von Intel mit einst 4000 Beschäftigten, sind nur noch wenige hundert Arbeitsplätze verblieben sind. Das Lohnniveau ist bei uns für ausländische Investoren zu hoch.“
„Korruption und die mangelnde Effizienz des Staates lähmen. Autobahnen werden häufiger privatisiert. Oft schließen private Investoren ihre Aufträge schneller ab, die Qualität ist besser. Aber den Preis zahlen wir Autofahrer durch eine hohe Mautgebühr.“
Ein Konzert mit Teufel
Am Sylvesterabend zieht uns Gospelmusik in eine kleine Kirche. Wir lernen Marta als engagiertes Mitglied der Baptistengemeinde kennen. Der klangvolle Gottesdienst findet auf Englisch, Spanisch und Patois statt. Unter den Besuchern überwiegen Menschen afrokaribischer Herkunft.
Marta unterrichtet Englisch an einer staatlichen Landschule, die von vielen Indigenen besucht wird. „BriBri ist die Erstsprache der Kinder, in der Schule wird Spanisch gesprochen. Jetzt sollen sie dazu Englisch lernen.“

Schnell stellt sich im Gespräch heraus, wie sich die Erziehungsprobleme angesichts der Handysucht global gleichen. „Wenn ich ihnen die Handys im Unterricht wegnehme, beschimpfen sie mich. Der Respekt fehlt!“

Heute darf Marta aus vollem Herzen singen, für die Schüler_innen beginnt erst im Februar wieder der Unterricht.
Die Kirche verlassen wir dennoch verstört, der Prediger beschwört mit inbrunstigen Gesten die Abstinenz von angeblich teuflischen Dingen. Satan zeigt sich auch in den Liedtexten präsent. Die Indoktrination löst bei uns Gänsehaut aus.
Umbuchung
Darwin, 24 Jahre kommt ursprünglich aus Panama. Er arbeitet auf Stundenbasis als Rezeptionist in einem Mittelklassehotel.


Im Nachbarhaus wohnen seine Mutter und 6 Geschwister. Wenn ihn manche Arbeitskonflikte mit der Leitung des Hotels stören, so weiß er dennoch, die Arbeitsgelegenheit unter staatlich festgelegtem Mindestlohn zu schätzen.

„Für junge Leute gibt es in Puerto Viejo außerhalb des Tourismussektor so gut wie keine Arbeit. Viele meiner Kumpels dealen darum mit Marihuana, Crack, Heroin, synthetischen Drogen. Junge Frauen prostituieren sich, wenn auch nicht offen. Es gibt keine Angebote für junge Leute: Sport, Tanzen, es sei denn, du hast Kohle. Wir brauchen Gelegenheiten, um etwas aus unserem Leben zu machen. Wir sind hier die vergessene Generation, in Panama ist es nicht besser.“
Abreise
Jessica verkauft uns das Busticket nach Panama. Die 41-jährige Mutter zweier Söhne strahlt große Herzlichkeit aus. Sie arbeitet von 8:00 Uhr bis 14:00 Uhr im Reisebüro. Kurz versorgt sie die Kinder. Ihr Zweitjob beginnt um 16:00 Uhr – und endet mit Ladenschluss um 22:00 Uhr im angesagten Mode- und Souvenirladen „Reggaelandia.

.Jessica arbeitet täglich rund 12 Stunden, 7 Tage die Woche. „Mir macht die Arbeit im Reisebüro Freude, weil mein Chef mir Freiheiten lässt. Außerdem: Aqui en el Caribe manda la mujer, die Frau bestimmt. Auch von nervigen Kunden lasse ich mir nichts gefallen. Seit meinem 5. Lebensjahr muss ich arbeiten, weil ich aus einer sehr armen Familie stamme.“
“ Die gute Erziehung meiner Söhne ist mir das Wichtigste. Sie sollen nicht in das Drogenmilieu abdriften. Zum Glück unterstützt mich mein Lebenspartner, der als Taxifahrer arbeitet. Das Leben ist so teuer, da komme ich mit einem Stundenlohn von 2.000 Colones (ca. 3,30$) nicht weit.“

„Mein ganzes Leben habe ich in Puerto verbracht. Für mich ist der Ort durch die vielen Touristen Mittelpunkt der Welt. Natürlich hat sich viel verändert. Jetzt gibt es Arbeit . Ich danke Gott jeden Tag, dass ich arbeiten kann. Aber eben auch Party, Drogen und die Suche nach Sex. Meine junge sehr hübsche Kollegin im Laden wird häufiger gefragt, wieviel sie für eine Nacht kostet, einfach widerlich.“
In wenigen Minuten entwickelte sich zu Jessica große Vertrautheit. Sie legt Wert darauf, uns mit einer herzlichen Umarmung zu verabschieden.

Jessicas Lachen und ihre große Wärme begleiten uns auf dem Weg nach Panama.
