Tsirushka mit feministischem Biss

Der öffentliche Bus holpert über eine teilasphaltierte Straße und spuckt uns um 11:00 Uhr in Shiroles aus. Das Straßendorf hat keinen erkennbaren Ortskern. Der Schweiß rinnt angesichts der tropischen Schwüle. Frente al colegio, gegenüber der Schule befindet sich das Tor zur Frauenkooperative Tsirushka, übersetzt Kakaocreme.

Im Talamanca- Gebirge leben viele BriBri als Kakaoproduzent_innen in kleinbäuerlicher Landwirtschaft. Die Kooperative fördert den organischen Anbau. Sie bietet ca. 75 Frauen und ihren Familien Arbeitsmöglichkeiten und ein gesichertes Einkommen. 4 Frauen arbeiten Vollzeit in der Produktion vielfältiger Schokoladenprodukte.

Gelingt es, die kulturelle Tradition der Indigenen zu bewahren? ACOMUITA, ein Interessensverband indigener Frauen ergriff 2003 die Initiative zur Gründung der Kooperative.

Beim Überraschungsbesuch der Blauen Murmel steht die Kakaomühle still. Die Mitarbeiterinnen genießen einen Ausgleichstag für die geleistete Samstagsarbeit, klärt uns Präsidentin Faustina Torres auf. Sie führt uns durch die Räumlichkeiten. „El Cacao es feminino, der Kakao ist weiblich“, betont sie.

In der Mythologie der BriBri verwandelte Gott Sibö die junge Frau Tsirú in einen Baum, der duftende und köstliche Früchte trägt, den Kakaobaum. Für Faustina scheint in der Kakaobranche wichtig, dass sich die Frauen ihrer matrilinearen Kultur erinnern und sich behaupten. „Nosotras, wir Frauen geben das Leben. Der Name der Frau wird an die Nachfahren vererbt, die Frauen besitzen die Landtitel. Das patriarchalische Erbe der spanischen Eroberung brauchen wir nicht. Für uns sind Männer und Frauen gleich. Macht über andere auszuüben gehört nicht in unsere Kultur, wir Frauen pflegen den Respekt“.

Die Kooperative produziert monatlich ca. 300 Kilo Kakaoprodukte. Faustina lässt uns bittere Schokoladenstreusel kosten. Der offizielle Flyer der Kooperative fasst die süßen Wirkungen des Naturproduktes zusammen:
Kakao fördert die Blutzirkulation, regt an, macht glücklich und wirkt als homöopathisches Mittel gegen Depressionen. Kakao verzögert die Alterung der Zellen und enthält zahlreiche Vitamine. Kakaobutter schützt die Haut.

Als Verantwortliche fühlt sich Faustina kompetent. „Ich kenne beide Welten. Ich baue selbst Kakao an und organisiere die Verarbeitung sowie den Vertrieb für die Kooperative.“ Erst durch unsere Nachfrage geht sie auf das Thema Klimawandel ein. Pilzerkrankungen, Starkregen und Trockenperioden nähmen zu. Sie liebt die Pflanzen, die wie einst in biologischer Vielfalt gedeihen sollen.

Mit Sorgen blickt Faustina auf die nachwachsende Generation. „Es gibt hier viele Suizide junger Menschen. Die Jungen fühlen eine große Leere in sich, ihnen fehlt die Verbindung zur BriBri- Kultur. Schwierig, wenn Eltern nicht präsent sind. Natürlich beeinflussen auch die neuen Technologien sowie der Alkohol- und Drogenkonsum das Verhalten. Das staatliche Projekt „Casita de eschucha“, Häuschen zum Hören“, nimmt sich dem Problem an. Sozialarbeiter und Psychologen arbeiten gemeinsam mit der Kommune, um junge Menschen aufzufangen.“

Auf die Kooperative wurden wir in einem Café in Puerto Viejo aufmerksam.
Kanadier_innen bieten u.a. Führungen auf Schokoladenfarmen an.
Kunden erhalten an der Verkaufstheke Hinweise zu den Produzent_innen nachhaltiger Schokolade.

Die gut gestaltete Homepage der Kooperative Tsirushka fiel uns auf:

https://acomuita-costarica.jimdo.com/deutsch/unsere-firma-tsirushka/

Besuch bei den BriBri

Lidia lädt uns in ihre Siedlung ein, die zur Reserva der Bri Bri-Indigenen gehört. Als Treffpunkt vereinbaren wir die gleichnamige Kleinstadt am Fuße des Talamanca-Gebirges. Im vollbesetzten Bus finden wir die letzten Sitzplätze. Der kostengünstige öffentliche Transport scheint für die Einheimischen erschwinglich.

Im Straßenbild von Bri Bri entdecken wir weder Afrokariben noch Tourist_innen. Ob Reiseunternehmen aus dem nur 10 km entfernten Puerto Viejo Ausflüge nach Bri Bri anbieten, wissen wir nicht.

Indigene bestimmen das Straßenbild. Während an der Küste kreolisches Patois gesprochen wird, hören wir hier die Sprache BriBri. Lidia empfängt uns an der Busstation mit einem Schnellkurs und begrüßt uns mit „Wai Wai“.

 

Die Kleinstadt dient als regionales Handels-, Verwaltungs- und Einkaufszentrum. Seit den 50er Jahren erkennt die Zentralregierung die autonomen Territorien der BriBri offiziell an. Die BriBri, größte Gruppe unter den 8 indigenen Kulturen Costa Ricas, leben mehrheitlich in abgeschiedenen Dörfern des Regenwaldes. Die Stadt  bietet weiterführende Schulen, Geschäfte, eine Bank, die Kommunalverwaltung, eine Polizeistation, eine Tankstelle. Busse nach Puerto Limon sowie nach Panama halten an der zentralen Busstation.

Lidia lernten wir durch ihren Mann José kennen, der in der Plantera Rio Sixaola arbeitet. Eine Einladung zum Abendessen wenige Tage zuvor in Puerto Viejo brach den Bann. Lidia merkte, dass wir uns für ihre indigene Kultur interessieren. Sie bot uns spontan an, ihr Haus zu zeigen und uns in Gebräuche  der indigenen Gemeinschaft einführen.

Lidia lebt in der kleinen Siedlung Campo del Diabolo, übersetzt Teufelsfeld. Auf unsere Frage nach dem sonderbaren Namen, erklärt sie uns, dass Erdöl gefunden wurde. Die widerständigen BriBbri hätten die Förderung erfolgreich verhindert.

Wir haben Glück, Lidia hat Zeit. Die Kinder, die sie als Tagesmutter versorgt, verbringen die Schulferien mit ihren Eltern. Als ihr 21-jähriger Sohn aus erster Ehe in die Nähe der Hauptstadt zog, nahm sie die Stelle bei einem Lehrerehepaar an. „Für uns Bribri ist es wichtig, dass wir zusammenbleiben. Aber es gibt zu wenig gut bezahlte Arbeit. Klar, junge Leute verlassen oft ihr Dorf. Mir tut es weh, aber ich respektiere die Entscheidung meines Sohns. In Alajuela arbeitet er in einer Geflügelschlächterei als Packer.“

Zunächst klettern wir in den Bus nach Shiroles. Lidia begleitet uns zur Frauenkooperative der BriBri ins Talamanca- Gebirge. Mit jedem Kilometer tauchen wir tiefer in die phantastische tropische Landschaft ein und erreichen einen Fluss. An der faktisch offenen Grenze zu Panama herrscht reger Verkehr. Menschen laden Bananen vom Lastwagen auf Boote um.

Anschließend laufen wir über eine Schotterstraße in Lidias Dorf. Unterwegs erzählt Lidia von den ca. 10.000 Indigenen der BriBri, die in drei Gebieten leben, 2 Gruppen im Talamanca- Gebirge, eine kleine Gruppe mit wenigen Hundert auf der anderen Seite der Grenze in Panama.

Lidias Haus befindet sich in einer kleinen Siedlung. Durch ein staatliches Bauprogramm für Indigene konnte sie es erwerben. „Ich bin die Besitzerin, da in unserer Kultur die Parzellen den Frauen vermacht werden. Meine Eltern leben ganz in der Nähe. Jede BriBri-Familie verfügt über ein kleines Stück Land. Es darf grundsätzlich nur an Indigene verkauft werden. So bleiben wir zusammen, um unsere Kultur zu pflegen. Mein Mann aus Nicaragua darf kein Land erwerben. Überhaupt hat er es wie viele Nicaraguaner nicht leicht, akzeptiert zu werden. Meine Schwester ist nicht begeistert, dass ich einen Nicaraguaner geheiratet habe.“
Obwohl es Strom- und Wasseranschlüsse gibt, wäscht Lidia die Wäsche im nahen Fluss. Der Holzofen bleibt trotz des Gasherdes in Gebrauch.

Lidia sieht den Erhalt der Sprache bedroht. Ältere sprechen BriBri. In der Schule im Alltag, im Fernsehen dominiert Spanisch als Verkehrssprache. Nur ein Radiosender in Talamanca pflegt das BriBri.

Beim Rundgang erfahren wir, dass die BriBri Bananen und Kakao pflanzen. Viehwirtschaft und Gemüseanbau haben keine Tradition.


„Wir versorgen uns selbst mit dem Nötigsten und verkaufen die Überschüsse an heimische Produzenten. Das müsste reichen. Leider sind Lebensmittel, Strom, Benzin und die Lebenshaltungskosten in Costa Rica sehr teuer.  Deshalb sind Indigene auf staatliche Unterstützungsprogramme im Bereich Bildung, Gesundheit und Sozialleistungen angewiesen. Das gefällt nicht jedem hier im Land. Aber dies steht uns gesetzlich zu.“

Lidia stellt uns den Schwager sowie ihren Schwiegervater vor, die vor wenigen Monaten vor den politischen Unruhen und der wirtschaftlichen Misere aus Nicaragua geflohen sind. „Ich weiß, dass es hier bei uns viele Vorbehalte gegenüber den Nicas gibt. Für mich sind alle Menschen gleich. Mein Mann José ist in unserer Bribri-Familie akzeptiert. Allerdings darf er hier kein Land erwerben. Aber er ist in meinem Haus geduldet und darf seine geliebten Bohnen züchten und Viehzeug halten“, sagt sie augenzwinkernd.

Auf den ersten Blick wirkt Lidias Zuhause in der üppigen Natur idyllisch. Sie gibt zu bedenken, dass es „in vielen Gemeinden oben in den Bergen an Strom, Wasser und einer nahen Gesundheitsstation“ fehlt. „Wir hier sind allerdings in Küstennähe durch den Bus gut angeschlossen.“

In unmittelbarer Nachbarschaft wohnen die Eltern und 12 Geschwister mit ihren Familien. Als Lidia uns ihre alleinerziehende Schwester vorstellt, werden Armutsfolgen konkret. 14jährig wurde die Nichte zur Mutter. Das Gesetz verpflichtet die Großmutter, das Kind der Minderjährigen großzuziehen.

Während des Mittagessens will kein rechtes Gespräch in Gang kommen. Die seichte Fernsehshow auf dem großen Flachbildschirm scheint attraktiver als das Gespräch mit ausländischen Gästen.

Lidia flüstert uns zu: „Hier gibt es viele junge Mütter. Obwohl die jungen Frauen kostenfreien Zugang zu Verhütungsmitteln wie z. B. der Dreimonatsspritze haben, macht sich die Jugend keine Gedanken. Gesetzlich sind die Väter später zu Unterhaltungszahlen verpflichtet.“

Befragt nach ihren Zukunftsplänen antwortet Lidia „Ende des Jahres möchte ich zum ersten Mal mit meinem Mann an den Rio San Juan nach Nicaragua reisen, um dort meine Schwiegermutter und das Land meines Mannes kennenzulernen. Gerade hole ich einen Schulabschluss nach, das Abitur.

Nach dem sehr herzlichen Abschied von Lidia fahren wir mit vielen Eindrücken und Fragen  an die Küste zurück.

Nachtrag

Wenig später lernen wir die Sozialarbeiterin Lisa kennen. Sie begleitet die BriBri im Auftrag des Sozialministeriums. Zu ihrem Betreuungsteam gehören eine Vorschul- und Sonderpädagogin, eine Ernährungsberaterin und eine Psychologin.

Lisa bestätigt „Oft verhalten sich Costa Ricaner den Indigenen gegenüber ignorant. Sie wissen nur wenig über die Kulturen. Der Staat finanziert viele Sozialleistungen, Infrastrukturprojekte, Wohnungsbau, Schulen, die Gesundheitsversorgung in den indigenen Reservaten. Unter den rund 20% Armen finden sich überproportional viele Indigene. Das Gleiche trifft auf die schwarze karibische Bevölkerung zu.“

„Die Themen, die uns Sorge machen, sind die Fehl- und Unterernährung der Kinder, familiäre Gewalt, steigende Suizidraten sowie der Drogenkonsum bei Jugendlichen. Hinzu kommt, dass in den letzten 10 Jahren evangelikale Gruppen wie die Zeugen Jehovas Zulauf haben. Ihr extrem wertkonservatives Weltbild passt nicht zur Realität der jungen Leute mit Whatsapp und Facebook.“

Bei der Frage der Nachhaltigkeit der staatlichen Wohlfahrtsprogramm zeigt sich Lisa zwiegespalten. „Die Programme werden, unabhängig von der Ausrichtung der jeweiligen Regierung, grundsätzlich nicht in Frage gestellt. Doch die Alimentierung ohne eine langfristige Strategie greift zu kurz. Indigenen und ihre Anliegen müssen ernst genommen werden. Die Schulbildung muss verbessert werden.“

„Problematisch und konfliktiv wird es, wenn die gesetzlich garantierte Autonomie der Reservate durch das Eindringen von Konzernen oder Siedlern unterlaufen wird. Leider kommt dies immer wieder vor“.
Lisa wünschen wir einen langen Atem für ihre engagierte Arbeit.

https://www.npla.de/poonal/der-aufstand-der-vergessenen-costa-ricas-indigene-wehren-sich-gegen-grossgrundbesitzerinnen/

(aufgerufen am 16. Januar 2018)

Kurze Begegnungen

Kein Stern über dem Hostal

Ein Fliegengitter fehlt, die Balustrade grenzt an den üppigen Regenwald. Um zwei Uhr ist für mich die Nacht vorbei, als sich eine Fledermaus von außen auf das Moskitonetz setzt. Tollwut- die einzig rationale Erklärung für die mangelnde Scheu des flugtauglichen Tiers. Ebi an meiner Seite lässt sich partout nicht wecken. Bis zum frühen Morgen halte ich Wache, damit sich der Überraschungsgast nicht durch das Netz frisst.

Die Notunterkunft bezogen wir mit gemischten Gefühlen. Ein dreistöckiges, unter den Tritten der zumeist jugendlichen Backpacker in Schwingungen versetztes Gerüst ist mit bunten Tüchern behängt. Bloße Laken trennen als Zimmer verkaufte Verschläge voneinander ab. Die Privatsphäre leidet. Die Wasserversorgung fällt zeitweilig aus, Stromkabel hängen aus der Wand. Im dunklen Flur geben wir uns Mühe, nicht die Hühnerleiter hinabzustürzen. Morgens fühlt sich die Wäsche klammer als am Vortag an. Letzteres ist ausnahmsweise nicht den fehlenden Investitionen des Hostalbesitzers geschuldet, sondern dem tropischen Klima an der Karibikküste. Außer der guten Internetverbindung funktioniert nichts- ohne weitere bizarre Details aufzuführen.

Während des Saisonrummels brauchten wir dringend einen Unterschlupf, als Alternative zum abgesagten Aufenthalt in Nicaragua. Am Morgen entpuppt sich die dreiste Fledermaus als erstaunlich großer Falter, willkommen in der Fauna! Ebi wird erst durch das Konzert der Brüllaffen wach. Die Nacht ist überstanden.

Philosophen- Frühstück

Zum Reis- und Bohnen- Frühstück tappen wir in ein Soda, d.h. in eine einfache Gaststätte mit regionaler Küche.
Ein junger Mann am Nachbartisch fällt uns auf. Philosophiestudent Julian liest Siddartha von Hermann Hesse in deutscher Sprache. Er möchte „die großen Philosophen in der Originalsprache lesen können“.


Sein Freund Hansel brach das Studium für einen gut bezahlten Job ab. Seine 7-stündigen Nachtschichten im Callcenter werden in Dollar entlohnt, die achte Stunde erhält Hansel als Zulage. Beide klagen über ihr zweigeteiltes Land. Nur im zentralen Hochland in und nahe der Hauptstadt gebe es spannende Kulturangebote, kaum in den ländlichen Regionen längst der Küsten und Grenzen. Der Traum aus Costa wegzugehen, scheint immer präsent. „Anderseits“, wirft Julian ein, „ gibt es viele Themen, die wir aktiv anpacken müssen, den Kampf gegen Plastik und Umweltverschmutzung, mehr Toleranz für sexuelle Minderheiten. Unsere Gesellschaft ist sehr konservativ und zum Teil auch sehr religiös.“

Hansel und Julian beunruhigt, dass bei den Präsidentschaftswahlen im Sommer 2018 beinah der evangelikane „singende“ Prediger Fabricio Alvarado gewonnen hätte. Sein Programm wandte sich vor allem gegen die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe, Schwangerschaftsabbrüche und den vermeintlichen „Gender- Wahn“. In den ärmeren Regionen haben die Freikirchen und Sekten ungeheuren Zulauf. Allein 8.000 Gemeinden soll es mittlerweile im Land geben, Tendenz steigend.

Fußball als Toröffner

Fußballfan Franklin hört, dass wir aus Deutschland kommen. Er will wissen, wie es „El Kaiser“- Beckenbauer gehe.

Die Deutschen seien so erfolgreich und diszipliniert, der Arbeitsethos fehle in seinem Land. Franklin stößt der zunehmende Konsumismus der Ticos auf. Um sich ein überproportioniertes Auto als Statussymbol zu leisten, verschulden die Menschen sich und arbeiten Tag und Nacht. „Doch wer kümmert sich um die Kinder, die oftmals sich selbst überlassen bleiben?“

Franklin, Obst- und Gemüselieferant für die regionalen Restaurants, genießt sichtlich den Austausch mit uns in seiner Frühstückspause: „Wir leben hier oftmals in den Tag hinein und betreiben keine Vorsorge etwa im Falle von Krankheit oder Arbeitslosigkeit. Ach, ich glaube, das ist das Erbe der Spanier, oder?“, rückversichert er sich.

Silvester – eine Wanderung

Der öffentliche Bus setzt uns im Nationalpark La Cahuita ab, 15 Minuten nördlich von Puerto Viejo.

Das Jahr klingt für uns mit einer vierstündigen Wanderung durch den Regen- und Mangrovenwald aus. Affen turnen hoch auf den Bäumen, Faultiere „hängen ab“. Dichtes Grün schützt vor der Sonne.

Am nahen Strand knallen hohe Wellen gegen das Korallengriff, die das Schwimmen auch angesichts der Strömung im Dezember gefährlich machen. Zum Schnorcheln braucht es einen Guide. Costa Ricas Karibikküste steht zum größten Teil unter Naturschutz. Der Fischfang bleibt auf die Pazifikküste und Flüsse beschränkt.


Gepflegte Stege, teils sandiger Boden und Wegkennzeichnungen lassen uns gut vorankommen, bis Parkwächter José zu einer Pause einlädt. Josés Arbeitgeber, die staatliche Nationalparkbehörde betreibt den bei nationalen und internationalen Gästen beliebten Park gemeinsam mit der Kommune Cahuita.

„Unsere größten Probleme? Der steigende Meeresspiegel, der die Uferlandschaft abträgt. Und die Verschmutzung der Flüsse mit Pestiziden, die so ins Meer gelangen.
Costa Rica versteht allerdings, den Schatz der Biodiversität als touristische Einnahmequelle zu nutzen. Es gibt Gespräche und Verhandlungen mit den Agrarkonzernen, um die empfindlichen Mangroven und das Riff zu schützen“.

Auf das Erdgasbohrland inmitten der Parkidylle angesprochen, erklärt Josè: „Vor vielen Jahren wurde Erdgas gefunden. Zwar wäre mit modernster Technologie heute die Ausbeute möglich, doch sind wir inzwischen als Nationalpark ausgewiesen und daher geschützt.“

Strandleben

Das Nachmittagslicht setzt zum Jahreswechsel auf der nördlichen Halbmurmel gegen 15:00 Uhr ein, ab 18:00 Uhr herrscht Finsternis. Von der Wanderung erholen wir uns am Strand von Puerto Viejo, ein touristischer Hotspot mit bunten kleinen Hotels und Restaurants.

Die südliche Ostküste verfügt erst seit 20 Jahren über eine Straße und eine gesicherte Strom- wie Trinkwasserversorgung. Zuvor war sie abgeschnitten vom Rest des Landes. Im einsetzenden Boom ließen sich u.a. viele Ausländer aus aller Welt nieder.

Entlang der Küste lässt es sich wunderbar wandern, nur selten treffen wir auf abgezirkelten Privatbesitz. Zu hoffen bleibt, dass sich der beschauliche Standard dank hoher staatlicher Naturschutzauflagen hält. Denn überall werden Parzellen zum Kauf angeboten.

Die See schillert heute gräulich wie der karibische Himmel. Alle 24 Stunden spätestens entladen sich von oben die Wassermassen.

Großfamilien und Freundeskreise vergnügen sich im Schatten der Kokospalmen, ausgerüstet mit Kühltaschen, Grill und Lautsprecherboxen für die Calypsomusik. Vereinzelt bieten kleine Büdchen sowie ambulante Händler Kokosmilch, frittierte Teigtaschen, aber auch Surfbretter und Mieträder an.

Ausländische Touristen setzen sich der prallen Sonne aus, wenn sie denn scheint. Badende planschen am Ufer des wilden Meeres, erstaunt über Wagemut und Geschick der Surfer.

Während ich zu schwimmen wage, kommt Ebi in Kontakt zu Guillermo aus Alajuela. Als Angestellter einer us-amerikanischen Bank in San Josè benötigt er im täglichen Stau mehr als 1 Stunde für den Weg. „Ich habe mir ein Fahrrad zugelegt. Damit bin ich jetzt wesentlich schneller“.

Guillermo problematisiert die steigende private wie öffentliche Verschuldung. „Viele der Kreditverträge werden auf Dollarbasis abgeschlossen. Das Austauschverhältnis zu unserer Colones-Währung verschlechtert sich zunehmend. Entsprechend steigen die Belastungen bei der Rückzahlung der Kredite.“

„Costa Rica verliert Arbeitsplätze in der Hightech-Industrie. Von Intel mit einst 4000 Beschäftigten, sind nur noch wenige hundert Arbeitsplätze verblieben sind. Das Lohnniveau ist bei uns für ausländische Investoren zu hoch.“

„Korruption und die mangelnde Effizienz des Staates lähmen. Autobahnen werden häufiger privatisiert. Oft schließen private Investoren ihre Aufträge schneller ab, die Qualität ist besser. Aber den Preis zahlen wir Autofahrer durch eine hohe Mautgebühr.“

Ein Konzert mit Teufel

Am Sylvesterabend zieht uns Gospelmusik in eine kleine Kirche. Wir lernen Marta als engagiertes Mitglied der Baptistengemeinde kennen. Der klangvolle Gottesdienst findet auf Englisch, Spanisch und Patois statt. Unter den Besuchern überwiegen Menschen afrokaribischer Herkunft.

 

Marta unterrichtet Englisch an einer staatlichen Landschule, die von vielen Indigenen besucht wird. „BriBri ist die Erstsprache der Kinder, in der Schule wird Spanisch gesprochen. Jetzt sollen sie dazu Englisch lernen.“

Schnell stellt sich im Gespräch heraus, wie sich die Erziehungsprobleme angesichts der Handysucht global gleichen. „Wenn ich ihnen die Handys im Unterricht wegnehme, beschimpfen sie mich. Der Respekt fehlt!“

Heute darf Marta aus vollem Herzen singen, für die Schüler_innen beginnt erst im Februar wieder der Unterricht.
Die Kirche verlassen wir dennoch verstört, der Prediger beschwört mit inbrunstigen Gesten die Abstinenz von angeblich teuflischen Dingen. Satan zeigt sich auch in den Liedtexten präsent. Die Indoktrination löst bei uns Gänsehaut aus.

Umbuchung

Darwin, 24 Jahre kommt ursprünglich aus Panama. Er arbeitet auf Stundenbasis als Rezeptionist in einem Mittelklassehotel.

Im Nachbarhaus wohnen seine Mutter und 6 Geschwister. Wenn ihn manche Arbeitskonflikte mit der Leitung des Hotels stören,  so weiß er dennoch, die Arbeitsgelegenheit unter staatlich festgelegtem Mindestlohn zu schätzen.

„Für junge Leute gibt es in Puerto Viejo außerhalb des Tourismussektor so gut wie keine Arbeit. Viele meiner Kumpels dealen darum mit Marihuana, Crack, Heroin, synthetischen Drogen. Junge Frauen prostituieren sich, wenn auch nicht offen. Es gibt keine Angebote für junge Leute: Sport, Tanzen, es sei denn, du hast Kohle. Wir brauchen Gelegenheiten, um etwas aus unserem Leben zu machen. Wir sind hier die vergessene Generation, in Panama ist es nicht besser.“

Abreise

Jessica verkauft uns das Busticket nach Panama. Die 41-jährige Mutter zweier Söhne strahlt große Herzlichkeit aus. Sie arbeitet von 8:00 Uhr bis 14:00 Uhr im Reisebüro. Kurz versorgt sie die Kinder. Ihr Zweitjob beginnt um 16:00 Uhr – und endet mit Ladenschluss um 22:00 Uhr im angesagten Mode- und Souvenirladen „Reggaelandia.

.Jessica arbeitet täglich rund 12 Stunden, 7 Tage die Woche. „Mir macht die Arbeit im Reisebüro Freude, weil mein Chef mir Freiheiten lässt. Außerdem: Aqui en el Caribe manda la mujer, die Frau bestimmt. Auch von nervigen Kunden lasse ich mir nichts gefallen. Seit meinem 5. Lebensjahr muss ich arbeiten, weil ich aus einer sehr armen Familie stamme.“

“ Die gute Erziehung meiner Söhne ist mir das Wichtigste. Sie sollen nicht in das Drogenmilieu abdriften. Zum Glück unterstützt mich mein Lebenspartner, der als Taxifahrer arbeitet. Das Leben ist so teuer, da komme ich mit einem Stundenlohn von 2.000 Colones (ca. 3,30$) nicht weit.“

„Mein ganzes Leben habe ich in Puerto verbracht. Für mich ist der Ort durch die vielen Touristen Mittelpunkt der Welt. Natürlich hat sich viel verändert. Jetzt gibt es Arbeit . Ich danke Gott jeden Tag, dass ich arbeiten kann. Aber eben auch Party, Drogen und die Suche nach Sex. Meine junge sehr hübsche Kollegin im Laden wird häufiger gefragt, wieviel sie für eine Nacht kostet, einfach widerlich.“

In wenigen Minuten entwickelte sich zu Jessica große Vertrautheit. Sie legt Wert darauf, uns mit einer herzlichen Umarmung zu verabschieden.

 

Jessicas Lachen und ihre große Wärme begleiten uns auf dem Weg nach Panama.

Teil 2: Ausgezeichnete Bananen

„Biobananen? Nur in in ariden, trockenen Gebieten wie z. B. an der Küste von Peru lassen sich Bananen ohne Pestizide züchten. Ein Wahnsinn, vergleichbar mit der Avocadoproduktion. Weltweit sind Bananen in tropisch-feuchten Regionen beheimatet. Und da gehören sie hin ! Und nicht in die Wüste . Klar, in den feuchten Tropen sind sie extrem anfällig für Pilzerkrankungen. Kein Anbauer kann auf chemische Substanzen verzichten, oder aber er nimmt andere Sorten“, irritiert uns Don Volker.

Kaum erschien unser Blogartikel „Ausgezeichnete Bananen“ , lud uns der Besitzer der Platanera Rio Sixaola erneut auf die Finca ein, um Fragen rund um das komplexe krumme Ding zu klären. Wir freuen uns, Volker persönlich kennenzulernen, tief beeindruckt vom ersten Besuch auf der Farm am 2. Januar. Die Weiterreise nach Panama verschieben wir.

„Bio muss nicht unbedingt nachhaltig bedeuten. Wir von der Platanera Rio Sixaola sind wohl eine sehr nachhaltige Bananenfarm in der Welt, aber dennoch liefern wir u.a. auch konventionelle Bananen “, ergänzt Volker und erzwingt unser Stirnrunzeln. Haben wir unter dem Lärm etwas missverstanden? Über unsere Köpfe hinweg nimmt ein Sprühflugzeug Kurs auf Felder von Del Monte und Chiquita. Hoffentlich arbeitet am Sonntagnachmittag dort niemand.

Wenig später naschen wir unbekümmert auf der Platanera Rio Sixaola köstliche Waldbananen. Sie gedeihen ohne chemische Keulen im Sekundärregenwald. Gleichfalls haben Volkers rote Bananen ein echtes Biosiegel.

Tragisch – die vom Handel oktroyierte Normvorstellung von 21 cm erfüllen sie nicht. Der Anbau konzentriert sich notgedrungen auf die Cavendish- Banane. Wann darf endlich auch mal eine Frucht mit Insektenstichen und einem kleinen braunen Fleck auf der Ladentheke landen? Wann endlich versteht der Kunde, dass er die Schale nicht mitisst ? Aber er nimmt sie als Qualitätskriterium . „Der liebe Gott hat die Banane mit der Schale gemacht . Zum Abpellen“, ergänzt der 70ig jährige.

Das Bananengeschäft bereitet den Beschäftigten Stress. Halbgefüllte Container rechnen sich nicht. Momentan verlässt täglich ein Container die Finca Platanera Rio Sixaola, um anschließend in Puerto Limon verschifft zu werden. Die Produzenten sind auf Großabnehmer angewiesen. Und das beschämende Preisdiktat der Konzerne ist hart, wenn es um den Gegenwert für die Banenenkisten geht.

Beim zweiten Rundgang durch die Plantage packt uns erneut die Faszination für Volkers Lebenswerk. Ähnlich erging es den Einkäufern des Lebensmittelkonzerns REWE, der seit dem 1. Januar 2019 seine Bananen als REWE 1. Wahl im Norden Deutschlands anbietet. „REWE scheint es mit der Nachhaltigkeit ernst zu meinen und umzusteuern. Wir wurden als Leuchturmprojekt auserkoren“, bemerkt unser Gastgeber hoffnungsvoll. „Die Nachfrage kann unsere Finca nicht bedienen. REWE braucht weitere Betriebe mit vergleichbarem nachhaltigem Anbau.“

Seit 28 Jahren betreibt der Westfale die Bananenfarm, die als Biosphärenparadies wirkt. „130 Vogelarten, 35 verschiedene Spezies Fledermäuse leben hier, 34 Fischarten tummeln sich in unserem Fluss“. Ein internationales Monotoring bestätigt der Farm regelmäßig ihre einzigartige biologische Vielfalt. 42 000 Bäume von geplanten 80 000 Bäumen für den 11 Kilometer langen Biokorridor wurden bereits inmitten der Bananenplantage gepflanzt, um der Monokultur entgegenzuwirken.

Saftige Blattpflanzen durchziehen die Kanäle.

Unkraut wird geschnitten. Es wurden noch nie Herbizide eingesetzt, um so das Bodenleben und den Boden selbst zu schützen. Die Kosten dafür betragen das Siebenfache gegenüber dem Herbizideinsatz. Allein dieser Verzicht kostet jährlich ca. 100 000 Dollar. Unterstützung findet Don Volker bei quirligen Gesellen, den Regenwürmern. Sie tummeln sich auf einer 240 qm umfassenden Zuchtfläche.Kein Tier wird getötet, wenn der Humus fertig ist.

Unter und neben den Bananenbäumen entwickelt sich ein Garten Eden.

Viele andere Farmen setzen Herbizide und Nematizide ein. Da wächst kein Blatt, kein Unkraut. Der Boden ist schutzlos. Nackt.

Ist die blaue Murmel jenseits von Volkers Insel zu retten? Volker fordert die Politik zum Handeln auf. „Warum gibt es keine Bodensteuer? Wer Land erwirbt, sollte nach 10 Jahren einen Nachweis über die Bodenqualität erbringen , falls sich die Bodenqualität nicht verbessert oder wie zumeist sogar verschlechtert hat, sollte es Strafmassnahmen geben.“

Die Platanera schreibt Autarkie groß. Die Mitarbeitenden bewirtschaften z. B. nachhaltig ein 40ha umfassendes Waldstück, das Holz liefert. In der Schreinerei des Betriebes fertigen sie Paletten gemäß allen technischen Auflagen selbst an. Die Wasserversorgung erfolgt über Regenauffangbecken. Solarpanelen liefern die Elektrizität und gackernde freilaufende Hühner Eier für die Cafeteria.

Weitere Herzstücke der autonomen Bananeninsel bilden ein betriebseigenes Forschungslabor sowie die Produktionsstätte für biologische Dünger und organische Schädlingsbekämpfungsmittel.

Seit 1998 ist Henry Lopez bei der Platanera angestellt. 18-jährig stapelte er anfangs Bananenkisten, später zog er mit der Machete durchs Gelände, lernte die unterschiedlichsten Abläufe aus eigener Arbeit kennen. Zum Laborleiter aufgestiegen legt er u.a. seit einem Jahr Pilze an, um dem schwarzen Rüsselkäfer auf der Plantage den Garaus zu machen. Andere Pilz- und Bakterienkulturexperimente zielen auf die Bodenverbesserung. Cocktails sind gesucht, um den 100-prozentigen Einsatz biologischer Düngung zu ermöglichen. Im Agrarexportland Costa Rica befassen sich ansonsten nur die staatliche Universität in San José und der nationale Bananenverband Corbana mit der Forschung nach Alternativen.

Henrys Berufsweg vom Lastenträger zum Laborleiter verdankt er dem Gespür seines Chefs, der den Fähigkeiten der Mitarbeitenden vertraut. Im November 2019 wird Henry nach Barcelona zum Weltkongress des Biodüngers reisen. Volkers Intuition und langjährige Erfahrungen in Costa Ricas Lebens- und Arbeitswelten helfen, Schlüsselstellen mit fähigen Mitarbeitenden zu besetzen. Parallel bieten sich berufsbegleitende Aus-, Fort-und Weiterbildungsmöglichkeiten für die Arbeitskräfte. Gut zu wissen, dass im Bananensektor viele Menschen arbeiten, die eine eher geringe Vorbildung haben.

Es braucht Zutrauen und Geduld für kleine Schritte. Viele Mitarbeitende arbeiten bereits seit vielen Jahren auf der Platanera „mit ihren Freunden, auf einem sicheren Arbeitsplatz“, wie sie sagen.

Ähnlich denkt Mario, Mitarbeiter in der Biofabrik mit vergleichbarer Berufskarriere. Er taucht hinter großen Kanistern auf. Mit dem Fassungsvermögen von 180 000 Litern weist sich die Platanera Rio Sixaola als größte Biofabrik Costa Ricas aus. Zur Herstellung von Pflanzenschutzpräparaten und Düngemitteln nutzt man die Mikroorganismen der Finca selbst und erreicht über den Kreislauf große Wirksamkeit. Aufgefangenes Regenwasser wird mit den Mikroorganismen, Melasse und Gras angesetzt. Die regelmäßige Reinigung der Tanks ist aufwändig.

Die Mitarbeiter müssen ihren Betrieb selbst am Laufen halten, das sage ich ihnen immer wieder. Ich bin für die Vision und das Marketing zuständig “, verdeutlicht Volker als Anhänger flacher Hierarchien. „Seine Entscheidungen sind transparent, wir wissen, was passiert“, teilt uns der Verwalter Victor mit.

Ein Chef, der kein Auto braucht, ein Chef, der sich liebevoll um die Hühner und Katzen vor seinem Haus kümmert .

Was die Finka abwirft, wird zu großen Teilen in die Sache und die Menschen investiert, z. B. in eine umfassende Gesundheitsvorsorge. Nach zehnjähriger Betriebszugehörigkeit erhält der Mitarbeitende 1000 Dollar als Anerkennung.
Der Betrieb gewährt zinslose Kredite, um private Schuldenfallen aufzufangen. Freies Wlan steht zur Verfügung. Jeder darf das Auto benutzen. Wer Pausen braucht, kann sie sich nehmen. Am Ende sollten die Ergebnisse stimmen. Nur auch: Wer dreimal in einem Monat unentschuldigt fehlt, muss gehen.

Die privaten Lebensverhältnisse der Mitarbeitenden gestalten sich oftmals schwierig. Drogenkriminalität und instabile Famlienverhältnisse belasten.

Volker ist als Seelentröster, Ratgeber und Streitschlichter gefragt. Er lebt Respekt und Warmherzigkeit vor.

In der Platanera begrüßt man sich an jedem Morgen mit Handschlag am Eingangstor. Wer die Zustände auf anderen Plantagen kennt, weiß das umso mehr zu schätzen. Alle Mitarbeiter nennen sich beim Namen. Auch die Liebe zur Natur haben die Arbeitskräfte über die Jahre hinweg entwickelt. Heute filmen sie den Skorpion mit dem Handy, den sie vormals totschlugen.

Nachtrag: Montag, 7. Januar, um 5:00 Uhr Früh

Die neue Arbeitswoche beginnt wie immer mit einer Betriebsversammlung. Ein Mitarbeiter spricht ein kurzes Gebet auf eigenen Wunsch. Mario spielt mit der Gitarre ein Volkslied.

Alle klatschen im Rhythmus mit.

Auch die blaue Murmel erhält freundlichen Applaus, als wir uns kurz präsentieren und schildern, warum uns schon in aller Frühe die Banane umtreibt.

Die Versammlung schließt mit einer kurzen Ansprache- die Mitarbeitenden sollen verstehen, was es bedeutet, eine ausgezeichnete Banane zu bleiben.

Über dem Betrieb schweben ungezählte verdiente Zertifikate.

Im Wind flattert die Diversity- Flagge.

Zum Weiterlesen: 

Wie Ecuador die Banane vor dem Aussterben rettet
https://www.nzz.ch/wissenschaft/biologie/bananen-apokalypse-ld.1296036

Teil 1: Ausgezeichnete Bananen

Bei der Fahrt nach Puerto Limon, Costa Ricas größter Hafen an der Karibikküste stockt uns der Atem angesichts der gigantischen Container. Die aufgestapelten Metallkäfige tragen die Namen multinationaler Konzerne. Das Bild vom Agrarexportland Costa Rica brennt sich ebenso  beim Blick  auf schier endlose Bananenfelder ein. Auf der Suche nach guten Geschichten nimmt die blaue Murmel Kontakt zu einer  biologisch- und fairen Bananenfarm auf.

Beschwingte Rhythmen  dringen durch die Gitterstäbe des hohen Zauns. Wir stehen am Eingangstor der „Platanera Río Sixaola“, einer für die ökologische Produktion und faire Arbeitsbedingungen mehrfach ausgezeichnete Bananenfinca im Süden Costa Ricas, unmittelbar an der Grenze zu Panama und hören musikalische Klänge.

Die Wolken hängen tief, ein kleines Vordach schützt uns vor den anhaltenden Kübeln. Ohne Unterlass schüttet es seit dem Morgen bei schwülen 30 Grad. Geduldig warten wir auf die Besuchserlaubnis. Durch den Zaun erkennen wir junge Männer, die im Takt der Musik Bananenstauden in Kartons verpacken.

Anfang Januar telefonieren wir mit dem Gründer und Inhaber der Farm. Schon öffnen sich die Tore und Herzen. Während der zweistündigen Führung durch das Betriebsgelände und die Pflanzungen decken sich die positiven Eindrücke mit dem Internetauftritt der Farm, die täglich ca. 20 t Bananen verpacken lässt.
https://bananen.de/de/home

In Gummistiefeln und mit der Machete ausgerüstet, begleitet uns fachkundig José Sevilla. José stammt aus San Carlos in Nicaragua. Einst Arbeitsmigrant, lebt er seit 18 Jahren in Costa Rica, verheiratet mit einer Frau der indigenen Volksgruppe der Bri Bri.

„Ich arbeite seit zweieinhalb Jahren hier auf der Platanera. Niemals zuvor hatte ich einen solchen Chef. Don Volker bezahlt die Arbeitenden gut und zahlt pünktlich, alle 120 Mitarbeiter sind sozialversichert. Volker kümmert sich ganz persönlich um die Menschen, wenn es Probleme gibt. Und er liebt die Tierra, die Erde. Keiner Pflanze, keinem Tier fügt er Leid zu.“

Viele Ticos der Region, die wir kennenlernen, nennen Volker achtungsvoll „Volker, el Aleman.“ Weder auf der Homepage noch auf der Finca entdecken wir den Nachnamen oder eine Fotografie. Stattdessen trägt das Gelände die Handschrift eines sozial engagierten Umweltschützers, der konsequent beweist, eine andere Welt ist möglich, auch in Anbau und Export der in Europa ach so begehrten Frucht.

 

 

 

 

 

Die Bananen der „Platanera Sixaola“ reisen von Puerto Limon zur Direktvermarktung nach Deutschland. „Volker hat die Kontakte zum Handel in Europa.  Andere Bananenproduzenten verkaufen das Obst zu weitaus schlechteren Bedingungen an Zwischenhändler“, wird uns mitgeteilt.

Der 8- Stunden-Tag ist die Regel. Bevor die Männer die Früchte verpacken und Frauen sie in Wannen sortieren, haben Mitarbeitende die Qualität der Ernte mit einem Messgerät geprüft. Die Größe der Früchte sei entscheidend. Warum verstehen wir auch bei der zweiten Nachfrage nicht.

Unter der Schutzkleidung tragen die Angestellten Hemden, die mit ihren persönlichen Namen gekennzeichnet sind. Die Handgriffe sitzen, die Arbeit geht schnell voran, die Menschen wirken konzentriert, aber nicht hektisch. Mindern karibische Rhythmen den Stress?

„Die meisten Mitarbeitenden stammen aus der Region, aus dem nahen Städtchen Bri Bri und aus Panama “, erklärt uns José. Nur der Fluss Sixaola trennt die Plantage von Panama. „Unsere Platanera ist als Arbeitgeber sehr nachgefragt, schon wegen der Bezahlung und des guten Arbeitsklimas. Arbeitende erhalten mindestens 20 Dollar am Tag. Das reicht zum auskömmlichen Leben, denn die Lebenshaltungskosten in Costa Rica sind hoch.“

Transportbänder, Flaschenzüge, ein dichtes Netz an Seilbahnen in den Pflanzungen entlasten. Die Arbeit verlangt viel Muskelkraft. Eine Staude kann bis zu 40 Kilogramm wiegen. Im zaghaften Versuch, sie zu schultern, scheitern wir. Vielleicht fehlt die Übung, die sperrige Staude zu „händeln“.

Binnen zweier Stunden erleben wir auf der Finca, wie viel Kraft, Weisheit und Erfahrung in einer Banane stecken. Ökologische Methoden beugen dem Pilzbefall und Krankheiten vor. Mit artenreichen Bepflanzungen begegnet die Farm möglichen Schädigungen des Bodens durch eine Monokultur. Selbst die gefürchteten blauen Tüten rund um die Stauden sind am Río Sixaola biologisch abbaubar und statt pestizidgetränkt mit Knoblauch und Chili behandelt.

Josés Begeisterung für „seinen“ Betrieb überträgt sich auf uns als Besucher. Er zeigt uns stolz neue Setzlinge, bepflanzte Gräben zum Schutz der Stauden, ein Fledermaushotel, Wiederaufforstungsprojekte mit geplanten 80 000 Bäumen, ausgewiesene ökologische Freiflächen und, und, und…

Wie selbstverständlich greifen wir in deutschen Supermärkten nach den Bio-Etiketten, im Wissen, dass wenigstens Chiquita, Nachfahre der United Fruit Company seit rund 20 Jahren im grünen Costa Rica mit dem Rain-Forest-Siegel auf Druck der Konsumenten sowie der Landarbeitergewerkschaft weitgehend oder ganz (?) auf Pestizide verzichtet. Gleichwohl liegen Löhne und Arbeitsrechte weiterhin im Argen. Die Arbeitenden zahlen den Preis für unsere Billigbananen und für die Profite im Handel.


Die Platanera Rio Sixaoala zeigt, wie bio und fair gelebt wird.

Vor dem Ausgang durchstreifen wir Sozialräume, die mit Kicker und nettem Mobiliar ausgestattet sind.
Überall an den Wänden entdecken wir Plakate und Inschriften. Sie bilden die Vision und grundlegende Regeln des Miteinander im Unternehmen ab. Gerne wären wir mit Mitarbeiter_innen tiefer ins Gespräch gekommen.

Für den Feierabend ist es zu früh. Und José entführt uns im Pickup zum Grenzfluss Sixaola.

Auf der Fahrt treiben uns im Gespräch weitere Fragen um.
Wie stark ist die Belastung der Böden und Flüsse durch die Agrarmultis und einheimischen Kleinproduzenten?
Hat Sixaola eine Leuchtturmfunktion für faire Arbeitsbedingungen und nachhaltige Produktion in der Region?
In wie weit können wir den ProPlanet- Bananen im REWE- Markt vertrauen, die aus Panama und Costa Rica stammen und seit 2010 die Einhaltung von sozialen und ökologische Standards versprechen? Greenwashing oder Realität?

Am Flussufer angekommen, zeigt uns José Schäden am Deich, die durch enorme Wassermassen des tropischen Regens ausgelöst wurden. 2018 habe es sehr viel Regen gegeben, der im Jahr zuvor ausgeblieben sei. Es werde wärmer. Ein Neubau des Deiches stehe an.

Zum Abschied begrüßt uns der stärkste Mitarbeiter der Farm, ein mächtiger Büffel, der Lasten durch unwegsames Gelände zieht. José genießt sichtlich den Umgang mit dem Tier, das uns etwas misstrauisch beäugt. „Auch er gehört zu unserer Belegschaft und wird gut behandelt“, versichert er uns lachend.

Die blaue Murmel lacht mit, beeindruckt vom Gleichklang zwischen Ökonomie und Ökologie, von der Achtsamkeit gegenüber der Natur und den Menschen rund um die Platanera Río Sixaola.

P.S. mit tagesaktueller Pressemeldung:
2018 sank die Bananenproduktion in Costa Rica um 3%.  Die Einbuße betrug 4-5 Millionen Kisten.  Infolge des Klimawandels kam es zu  Überschwemmungen im Februar, Starkregen im Juli  und per se die ungleiche Verteilung des Regens.
Quelle: LA NACION, 04.01.2019

Zum Weiterlesen:
https://www.suedwind-institut.de/index.php/de/bananen-461.html

Grüne Wunder, bittere Wahrheit

„Genieße das Paradies Costa Rica“ steht großflächig auf einem Plakat in der Hauptstadt. Es ist etwas dran am grünen Image der „Schweiz Mittelamerikas“ mit seinen knapp 4,9 Millionen Einwohnern auf einer Fläche so groß wie Bayern.

Seit den 80er Jahren hat das Land systematisch sein ökologisches Potenzial erkannt. Aktuell verfügt Costa Rica über 182 geschützte Gebiete. Dazu zählen 32 Nationalparks, 8 Bioreservate sowie zusätzlich 13 Waldgebiete unter besonderem Schutz. Fand bis Anfang der 80er Jahre die dramatische Entwaldung des tropischen Regenwaldes statt, schützt Costa Rica seit 40 Jahren seine Biosphäre, mittlerweile über 27 % der gesamten Landesfläche. Beeindruckt von der Biodiversität bestaunten 2017 rund 3 Millionen Touristen paradiesische Landschaften, Tier- und Pflanzenwelt.

In der Energie- und Umweltpolitik weist Costa Rica im internationalen Vergleich gleichfalls herausragende Entwicklungen auf. Frühzeitig (1992) wurde eine fortschrittliche Umweltgesetzgebung verabschiedet. Eine konsequente Wiederaufforstung fand großflächig statt. Wasserkraftanlagen und geothermische Anlagen wurden aufgebaut. Bis zum Jahr 2021 will das Land CO2 neutral sein. Bereits heute werden mehr als 80% des Energiebedarfs und sogar 99 % des benötigten Stroms aus erneuerbaren Energien, vor allem durch Wasserkraftwerke erzeugt.

Lokale Lösungen mit Solarzellen und Biogasanlagen werden beliebter, weil China den zentralamerikanischen Markt mit günstigen Produkten bedient. Als größtes Problem erweist sich weiterhin die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen im Bereich des Güter- und Personenverkehrs. Erste Experimente hin zur Elektromobilität stehen im Startloch.

Nach massivem Widerstand von Umweltgruppen verzichtet Costa Rica auf die Suche nach Erdöl und Erdgas. Auch die geplante Bauxitförderung konnte erfolgreich verhindert werden. Seit 2010 ist der Metallbergbau unter freiem Himmel verboten.

Bis 2021 will das Land frei von Einwegplastik sein. Öffentliche staatliche Einrichtungen gehen bereits voran.

Ökotouristische Angebote und zögerlich auch Anbauflächen für eine nachhaltige Landwirtschaft werden ausgeweitet.

Costa Rica – ein grüner Vorzeigestaat?

Bei genauer Recherche fallen tiefe Schatten auf das Land.

In San José treffen wir uns mit Jefferey Lopéz und Mariana Gutièrrez der Nichtregierungsorganisation Ditsö.

https://www.facebook.com/ditsoCR/

Mariana und Jeffrey berichten über ihre Lobby- und Bildungsarbeit des in Zentralamerika vernetzten Büros. Ditsö initiiert und begleitet Projekte der kommunalen Entwicklung, u.a. in den Schwerpunkten Umweltschutz, Partizipation, Frauen, Menschenrechte und Migration.

Ausweitung der Agrarexportwirtschaft

Seit im Jahre 2014 der CHIP-Hersteller Intel seine Produktion von Costa Rica nach Südostasien verlagerte, gingen nicht nur 1500 Arbeitsplätze verloren, sondern auch ein Fünftel der Deviseneinnahmen.

In den letzten 20 Jahren hat sich die Anbaufläche für Ananas verdoppelt. Multinationale Unternehmen exportieren jährlich allein rund 180.000 Tonnen Ananas, zu einem großen Teil in die EU und insbesondere nach Deutschland.

https://netzfrauen.org/2016/08/19/ananas-suedfrucht-mit-schlimmen-nebenwirkungen/

https://www.youtube.com/watch?v=k7ZKcyGgffQ

Der Trend zur Agroindustrie ist ungebrochen. Insbesondere in die ärmeren Grenzgebieten zu Nicaragua und Panama sowie an die  Karibikküste drängen multinationale Agrarunternehmen wie Chiquita, Dole oder Del Monte.

Jefferey: „Entweder werden die Kleinbauern vertrieben. Oder sie müssen ihr Land verkaufen, weil sie verschuldet sind. Besonders durch das 2003 abgeschlossene Freihandelsabkommen mit den USA und Zentralamerika hat die Förderung der landwirtschaftlichen Exportwirtschaft durch Agrokonzerne einen Riesenschub bekommen. Subventionen für die kleinbäuerliche Nahrungsmittelproduktion wurden abgeschafft, Agrokonzerne mit Steuerbefreiungen und günstigen Rahmenbedingungen in das Land gelockt. In Folge roden die Konzerne, sie schaffen Platz für den großflächigen Anbau von Ananas, Bananen oder Palmöl.“

Ehemalige Kleinbauern arbeiten als Tagelöhner auf Agrarfarmen oder wandern in den Großraum San José ab. Zumeist sind auf den Feldern nicaraguanische Wanderarbeiter anzutreffen, die billiger und aufgrund ihres illegalen Status erpressbar sind.

Jefferey: „Die Ananas dient dem Staat als Devisenquelle und zugleich Drogenkartellen zur Geldwäsche. Auf dem Weg in die USA und Kanada verstecken Händler die Drogen in der Ananasfrucht.“

Wenn eine Ananas in Deutschland für weniger als 1,50 € verkauft werden, geht dies nur über skandalöse Arbeitsbedingungen. Die Zustände auf den Farmen sind oft „gruselig“, stellt eine Studie von Oxfam im Mai 2016 fest.

https://www.oxfam.de/ueber-uns/publikationen/suesse-fruechte-bittere-wahrheit

Aggressiver Pestizideinsatz

Bedrohlich gestaltet zudem sich der exzessive Einsatz von Chemikalien. Das in der EU verbotene Pestizid Glyphosat führt bei den Feldarbeiten unmittelbar zu Hautproblemen, Juckreiz, Kopfschmerzen und gravierenden Folgeerkrankungen. Frauen erkranken, weil sie die besprühte Kleidung waschen. Das Pestizid Bromacil verseucht langfristig das Grund- und Trinkwasser. Das braune Fell der Kongoaffen verfärbt sich sichtbar ins Gelbe, wenn die Tiere nahe den kontaminierten Plantagen sulfithaltige Blätter fressen. Costa Rica ist trauriger Spitzenreiter: Weltweit verglichen setzt das Land mit geschätzten 52 Kilo je Hektar die meisten Pestiziden ein.

Genmanipulation

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hielt die Gentechnik bei der Forschung und Züchtung neuer Obstsorten in Costa Rica Einzug. Del Monte sicherte sich 2011 das Patent für eine transgene Ananas in rosa Färbung.

Bananen- und Ananasrepublik Costa Rica?

Jeffery: „Bei der Ananasproduktion tritt eine besonders aggressive, blutsaugende Fliege „chupa sangre“ auf. Sie gefährdet den Viehbestand der Kleinbauern dramatisch. Zahlreiche Klagen der Viehzüchter liegen dem Ombudsmann des Parlaments vor. Wir haben Kenntnis, dass im Moment allein 200 Klagen nicht bearbeitet werden. Was ist der Grund dafür ist? Die großen Agrarkonzerne bilden einen Staat im Staate und verfügen über eine beträchtliche Lobby. Die Gesetzgebung weist Schlupflöcher auf. Genehmigungsbehörden verhalten sich oftmals korrupt und die Regierung zeigt keine erkennbare Distanz zu starken Lobbygruppen.“

Immerhin zeigen Proteste Wirkung. Nach zahlreichen Skandalen hat das Parlament 2017 eine Nachhaltigkeitsinitiative für die Ananasproduktion beschlossen.

Blauemurmel: „Wie kann der agroindustrielle Trend gestoppt werden?“

Mariana: „In den Landgemeinden braucht es Organisation. Im November hat Ditsö für Frauen im Norden Costa Ricas eine Tagung durchgeführt, um Frauen zur Partizipation ermutigen.“

Jefferey: Mittlerweile zeigt sich die Ananasproduktion leicht rückläufig. Die Ananas zieht weiter. Momentan scheinen Nicaragua, Honduras und Kolumbien lukrativer. Leider muss ich sagen, dass vieles von dem, was ich geschildert habe, fast analog für die Bananen- und Palmölproduktion gilt. Wir unterstützen als Organisation die Gewerkschaft der Landarbeiter_innen und machen skandalöse Arbeitsbedingungen und Verstöße gegen Normen des nationalen und internationalen Arbeitsrechts öffentlich.“

Die erfolgreiche Klage von 1.700 nicaraguanischen Bananenarbeitern gegen den Del Monte-Konzern im Jahre 2015 ermutigt. Der Konzern leistet jetzt Entschädigungszahlungen für die von Pestiziden provozierten Erkrankungen.

http://www.taz.de/!5024774/

Mariana:Paradoxerweise behindert das Corporate Social Responsibility, die soziale Unternehmensverantwortung manchmal eine Gegenwehr. Baut der Konzern eine Schule, sind die Landarbeiter_innen schnell zufrieden mit dem Tropfen auf dem heißen Stein und weniger bereit, sich für ihre Forderungen zu organisieren.

Jeffery: „Dank der NGOs und der Landarbeitergewerkschaften verzeichnen wir durchaus Erfolge, wie z. B. das Moratorium gegen gentechnikverändertes Saatgut und die Kennzeichnungspflicht für gentechnikveränderte Lebensmittel. Diese Verordnungen machen jedoch nur Sinn, wenn Gesetze eingehalten werden. Das Bewusstsein der Konsumenten für ökologisch hergestellte und fair gehandelte Produkte muss sich hier wie in Europa radikal verändern.“

Der tropische Fruchtcocktail brennt der blauen Murmel auf der Zunge.

Costa Nica

Verzweifelt, traurig, verstört wirkt der Nicaraguaner, den wir in San José kennenlernen. Nervös blickt er auf sein Smartphone, auf unsere Gesprächsangebote erhalten wir einsilbige Reaktionen. Nennen wir ihn vorsichtshalber Juan. Die Nerven liegen blank. Kürzlich überquerte Juan die Grenze nach Costa Rica, auf der Flucht vor einer drohenden Verhaftung. Kürzlich.

Und soeben wurden in Nicaragua  9 Nichtregierungsorganisationen verboten, Büros verwüstet, Fahrzeuge und Computer beschlagnahmt, Mitarbeitende des Landes verwiesen. Die Repression im Land hat die nächste Stufe erreicht.

Costa Nica, ein Wortspiel, Costa Nica als Option. Costa Rica als rettende Küste, wenn auch zuweilen mit steinigem Ufer für die Menschen aus dem gewaltgeschüttelten, deutlich ärmeren Nachbarland Nicaragua. In der zentralamerikanischen Großfamilie leben ungleiche Brüder.

Arbeitsmigrant_innen auf dem Zug nach Süden

Regelmäßig queren ca. eine halbe Million Arbeitsmigrant_innen aus Nicaragua die Grenze. Sie verdingen sich unter prekären Bedingungen auf Plantagen, in der Baubranche, bei privaten Wachdiensten und als Haushaltshilfen. Saisonarbeitende und Billiglöhner scheinen aus Sicht der costaricanischen Unternehmen und multinationaler Konzerne wie Chiquita und Del Monte willkommen, obwohl und weil oft Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis fehlen. Wanderarbeiter sind vulnerabel und erpressbar. Sie kommen dennoch, die Löhne in Nicaragua liegen weit darunter, wenn es denn in Nicaragua Arbeitsmöglichkeiten gibt.

Der costarikanische Staat, groß wie das Bundesland Bayern, verfügt über keine Rohstoffe. Neben dem ökologisch orientierten Tourismus setzt er auf eine extensive Agrarwirtschaft als hauptsächliche Devisenquelle.. Ananas, Bananen, Kakao und demnächst chinesische Kiwis werden auf großflächigen Feldern angebaut. Was immer die pestizidgequälte Erde hergibt, exportiert man weltweit, unter fragwürdigem biologisch und fairen Label auch in deutsche Supermärkte.

Unternehmer geizen, wenn es um feste Arbeitsverträge, Arbeitsschutz, Mindestlöhne, den Zugang zur Sozialversicherung und die gewerkschaftliche Interessensvertretung für Wanderarbeitende in der „Schweiz Lateinamerikas“ geht. Der trotz Wirtschaftskrise noch relative Wohlstand Costa Ricas grenzt Arbeitsmigrant_innen aus Nicaragua aus.

Die Armut geht einher mit rassistischer Diskriminierung. „No seas nica“, sei kein Trottel- lautet eine Redewendung im costaricanischen Spanisch.

Viele Ticos blicken herab auf das zweitärmste Land Lateinamerikas, stolz auf ihre eigenen stabilen demokratischen Verhältnisse, den Staat ohne Armee. Eine starke weiße Mittelschicht überwiegt. Schon bei der Ankunft der Spanier lebten nur wenige Indigene in der Region. Schnell wird die eigene Krise verdrängt. Das Haushaltsdefizit liegt mittlerweile bei 7 Prozent, die Auslandsverschuldung ist dramatisch, es steigt die Arbeitslosigkeit. Gegen die Austeritätspolitik kam es im Herbst 2018 zu einem 60-tägigen Generalstreik, ein neues Phänomen für das Land.

Klimawandel als Fluchtursache

Anhaltende Dürren und Überschwemmungen zwingen die Nicaraguaner ins bewaldete, naturgeschützte Nachbarland. Nach dem Hurrikan Mitch 1999 floh ein Zehntel der nicaraguanischen Bevölkerung gen Costa Rica. Später durften 150.000 Menschen offiziell bleiben. Geschätzt 10 Prozent der Bevölkerung haben nicaraguanische Wurzeln, viele verfügen über die doppelte Staatsbürgerschaft, die in Costa Rica geborene Kinder erhalten.

Politisches Exil

„ Schätzungsweise 60000 Nicaraguaner sind seit April 2018 in Costa Rica aufgeschlagen, in unserem kleinen Land mit nur 4,9 Millionen Einwohner_innen. Gleichfalls beantragen zurzeit viele Menschen aus Venezuela und Honduras Schutz“, erklärt uns die Sozialarbeiterin Mariana, die Verfahrensberatung anbietet. „Die Behörden sind total überfordert. Es kann 3 Jahre dauern, bis geklärt ist, ob politisches Asyl oder Schutz nach der Genfer Konvention gewährt wird. Die Gewalterfahrungen in Familien und durch Delinquenz wie Landvertreibungen nehmen aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage zu. Der UNHCR unterstützt die Erstversorgung. Viele haben glücklicherweise Familienangehörige in Costa Rica und finden dort ein Dach über dem Kopf.“

Erhält Juan in Costa Rica den Flüchtlingsstatus, sind dennoch politische Geflüchtete im nahen Costa Rica vor Verfolgung nicht sicher.

Am 18. August 2018 verprügelten aufgebrachte Bürger die Nicaraguaner. Sie schwangen Baseballschläger auf dem Platz „La Merced“, ein zentralen Treffpunkt der Exilgemeinde. Über Fake News in Social Media wurden überwiegend junge Männer mobilisiert, die in der Folge teils Hakenkreuze zur Schau stellten, den angeblich gefährlichen Zuzug skandalisierten und zur Gewalt griffen.

Des Weiteren kursieren Gerüchte, dass 2018 in Costa Rica 2 nicaraguanische Regierungsgegner ermordet wurden. Wer sich politisch für ein demokratisches Nicaragua engagiert, erwägt weiterzuziehen oder zahlt den Preis, sich rauszuhalten.

Trotzdem stoßen wir beim ersten Stadtspaziergang durch San José am 22. Dezember auf eine Demonstration. „Navidad sin presos políticos- ein Weihnachten ohne politisch Gefangene“ fordern Studierende, Bauern, Umweltaktivisten mit blau- weißen Fahnen vor dem nicaraguanischen Botschaftsgebäude. Sie tragen auf Plakaten die Namen von Entführten und Menschen, die wie eine Journalistin mit doppelter Staatsbürgerschaft bereits zu 30 Jahren Haft in Nicaragua verurteilt wurde.

Sie zeigen sich wütend und ohne Angst. Wer sind die Blau-Weißen?

Die „Unidad Nacional Azul y Blanco“ wird koordiniert von Monica Baltodano Lopéz, die den fehlenden politischen Konsens der Sammlungsbewegung beklagt und sich nur auf den Minimalkonsens „Regierungswechsel“ konzentriert. Die Opposition ist sich nicht einig und traumatisiert durch eisige Repression, die nach friedlichen Studentenprotesten im April zuschlug. Mindestens 320 Menschen wurden ermordet, 2000 verletzt, von paramilitärischen Schlägertruppen angegriffen, 1300 Menschen in die Gefängnisse gesperrt, darunter viele junge Student_innen.

Die sandinistische Revolution, die 1979 hoffnungsfroh begann und spätestens seit 2006 diktatorische Züge annahm, konvertierte zur Alleinherrschaft des Familienclans Ortega – Murillo. Konflikte um den geplanten interozeanischen Kanalbau spiegeln die Regierungskrise wider, mangelnde Partizipationsmöglichkeiten, Landvertreibungen, ökologischer Raubbau, Korruption und Kapitalflucht- wie auch vernetzte Gegenbewegungen, die sich mutig artikulierten und im Dezember 2018 nicht mehr nur in der Arbeit behindert, sondern verboten wurden.

Die blaue Murmel strandete gleichfalls in Costa Nica. Eigentlich wollten wir den Jahreswechsel mit Freund_innen und den alten politischen Weggefährte_innen in Nicaragua verbringen, in den schwierigen politischen und wirtschaftlichen Zeiten Gesprächsfäden spinnen, über Alternativen gemeinsam nachdenken, an Utopien anknüpfen, kritisch reflektieren und die Solidarität zeigen, die wir für die Menschen empfinden. 40 Jahre einer gemeinsamen politischen Geschichte verbinden uns. Wie sie waren wir 1979 voller Ideale und jung.

Wir hofften vor Kurzem inständig, die politische und wirtschaftliche Situation könnte sich entspannen, die Vermittlungskommission nähme versöhnende Verhandlungen wieder auf, man entwaffne Paramilitärs, zöge die Verantwortlichen zur Rechenschaft, lege den Bau des interozeanischen Kanals und die damit einhergehenden Verheerungen für Natur, Regenwald und Staatskasse endgültig ad acta.

Unsere elektronischen Briefe blieben meist unbeantwortet. Pablo (* Name geändert) fragte kurz nach den Bedingungen für ein Asylverfahren in Deutschland an. Am Ende zerrissen wir traurig das bereits gebuchte Busticket und kehrten um. Unmöglich scheint der Drahtseilakt, die Freundschaften im Land zu leben, ohne die Menschen zu gefährden.

Nun spazieren wir suchenden Auges durch San José nach Gesichtern, in der sehnsüchtigen Hoffnung, auf Bekannte zu treffen. Im Hostal lesen wir die Stellungnahmen zu Trumps Nicaragua- Act und aktuelle Reportagen. Nicaragua ist ganz nah.