Costa Nica

Verzweifelt, traurig, verstört wirkt der Nicaraguaner, den wir in San José kennenlernen. Nervös blickt er auf sein Smartphone, auf unsere Gesprächsangebote erhalten wir einsilbige Reaktionen. Nennen wir ihn vorsichtshalber Juan. Die Nerven liegen blank. Kürzlich überquerte Juan die Grenze nach Costa Rica, auf der Flucht vor einer drohenden Verhaftung. Kürzlich.

Und soeben wurden in Nicaragua  9 Nichtregierungsorganisationen verboten, Büros verwüstet, Fahrzeuge und Computer beschlagnahmt, Mitarbeitende des Landes verwiesen. Die Repression im Land hat die nächste Stufe erreicht.

Costa Nica, ein Wortspiel, Costa Nica als Option. Costa Rica als rettende Küste, wenn auch zuweilen mit steinigem Ufer für die Menschen aus dem gewaltgeschüttelten, deutlich ärmeren Nachbarland Nicaragua. In der zentralamerikanischen Großfamilie leben ungleiche Brüder.

Arbeitsmigrant_innen auf dem Zug nach Süden

Regelmäßig queren ca. eine halbe Million Arbeitsmigrant_innen aus Nicaragua die Grenze. Sie verdingen sich unter prekären Bedingungen auf Plantagen, in der Baubranche, bei privaten Wachdiensten und als Haushaltshilfen. Saisonarbeitende und Billiglöhner scheinen aus Sicht der costaricanischen Unternehmen und multinationaler Konzerne wie Chiquita und Del Monte willkommen, obwohl und weil oft Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis fehlen. Wanderarbeiter sind vulnerabel und erpressbar. Sie kommen dennoch, die Löhne in Nicaragua liegen weit darunter, wenn es denn in Nicaragua Arbeitsmöglichkeiten gibt.

Der costarikanische Staat, groß wie das Bundesland Bayern, verfügt über keine Rohstoffe. Neben dem ökologisch orientierten Tourismus setzt er auf eine extensive Agrarwirtschaft als hauptsächliche Devisenquelle.. Ananas, Bananen, Kakao und demnächst chinesische Kiwis werden auf großflächigen Feldern angebaut. Was immer die pestizidgequälte Erde hergibt, exportiert man weltweit, unter fragwürdigem biologisch und fairen Label auch in deutsche Supermärkte.

Unternehmer geizen, wenn es um feste Arbeitsverträge, Arbeitsschutz, Mindestlöhne, den Zugang zur Sozialversicherung und die gewerkschaftliche Interessensvertretung für Wanderarbeitende in der „Schweiz Lateinamerikas“ geht. Der trotz Wirtschaftskrise noch relative Wohlstand Costa Ricas grenzt Arbeitsmigrant_innen aus Nicaragua aus.

Die Armut geht einher mit rassistischer Diskriminierung. „No seas nica“, sei kein Trottel- lautet eine Redewendung im costaricanischen Spanisch.

Viele Ticos blicken herab auf das zweitärmste Land Lateinamerikas, stolz auf ihre eigenen stabilen demokratischen Verhältnisse, den Staat ohne Armee. Eine starke weiße Mittelschicht überwiegt. Schon bei der Ankunft der Spanier lebten nur wenige Indigene in der Region. Schnell wird die eigene Krise verdrängt. Das Haushaltsdefizit liegt mittlerweile bei 7 Prozent, die Auslandsverschuldung ist dramatisch, es steigt die Arbeitslosigkeit. Gegen die Austeritätspolitik kam es im Herbst 2018 zu einem 60-tägigen Generalstreik, ein neues Phänomen für das Land.

Klimawandel als Fluchtursache

Anhaltende Dürren und Überschwemmungen zwingen die Nicaraguaner ins bewaldete, naturgeschützte Nachbarland. Nach dem Hurrikan Mitch 1999 floh ein Zehntel der nicaraguanischen Bevölkerung gen Costa Rica. Später durften 150.000 Menschen offiziell bleiben. Geschätzt 10 Prozent der Bevölkerung haben nicaraguanische Wurzeln, viele verfügen über die doppelte Staatsbürgerschaft, die in Costa Rica geborene Kinder erhalten.

Politisches Exil

„ Schätzungsweise 60000 Nicaraguaner sind seit April 2018 in Costa Rica aufgeschlagen, in unserem kleinen Land mit nur 4,9 Millionen Einwohner_innen. Gleichfalls beantragen zurzeit viele Menschen aus Venezuela und Honduras Schutz“, erklärt uns die Sozialarbeiterin Mariana, die Verfahrensberatung anbietet. „Die Behörden sind total überfordert. Es kann 3 Jahre dauern, bis geklärt ist, ob politisches Asyl oder Schutz nach der Genfer Konvention gewährt wird. Die Gewalterfahrungen in Familien und durch Delinquenz wie Landvertreibungen nehmen aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage zu. Der UNHCR unterstützt die Erstversorgung. Viele haben glücklicherweise Familienangehörige in Costa Rica und finden dort ein Dach über dem Kopf.“

Erhält Juan in Costa Rica den Flüchtlingsstatus, sind dennoch politische Geflüchtete im nahen Costa Rica vor Verfolgung nicht sicher.

Am 18. August 2018 verprügelten aufgebrachte Bürger die Nicaraguaner. Sie schwangen Baseballschläger auf dem Platz „La Merced“, ein zentralen Treffpunkt der Exilgemeinde. Über Fake News in Social Media wurden überwiegend junge Männer mobilisiert, die in der Folge teils Hakenkreuze zur Schau stellten, den angeblich gefährlichen Zuzug skandalisierten und zur Gewalt griffen.

Des Weiteren kursieren Gerüchte, dass 2018 in Costa Rica 2 nicaraguanische Regierungsgegner ermordet wurden. Wer sich politisch für ein demokratisches Nicaragua engagiert, erwägt weiterzuziehen oder zahlt den Preis, sich rauszuhalten.

Trotzdem stoßen wir beim ersten Stadtspaziergang durch San José am 22. Dezember auf eine Demonstration. „Navidad sin presos políticos- ein Weihnachten ohne politisch Gefangene“ fordern Studierende, Bauern, Umweltaktivisten mit blau- weißen Fahnen vor dem nicaraguanischen Botschaftsgebäude. Sie tragen auf Plakaten die Namen von Entführten und Menschen, die wie eine Journalistin mit doppelter Staatsbürgerschaft bereits zu 30 Jahren Haft in Nicaragua verurteilt wurde.

Sie zeigen sich wütend und ohne Angst. Wer sind die Blau-Weißen?

Die „Unidad Nacional Azul y Blanco“ wird koordiniert von Monica Baltodano Lopéz, die den fehlenden politischen Konsens der Sammlungsbewegung beklagt und sich nur auf den Minimalkonsens „Regierungswechsel“ konzentriert. Die Opposition ist sich nicht einig und traumatisiert durch eisige Repression, die nach friedlichen Studentenprotesten im April zuschlug. Mindestens 320 Menschen wurden ermordet, 2000 verletzt, von paramilitärischen Schlägertruppen angegriffen, 1300 Menschen in die Gefängnisse gesperrt, darunter viele junge Student_innen.

Die sandinistische Revolution, die 1979 hoffnungsfroh begann und spätestens seit 2006 diktatorische Züge annahm, konvertierte zur Alleinherrschaft des Familienclans Ortega – Murillo. Konflikte um den geplanten interozeanischen Kanalbau spiegeln die Regierungskrise wider, mangelnde Partizipationsmöglichkeiten, Landvertreibungen, ökologischer Raubbau, Korruption und Kapitalflucht- wie auch vernetzte Gegenbewegungen, die sich mutig artikulierten und im Dezember 2018 nicht mehr nur in der Arbeit behindert, sondern verboten wurden.

Die blaue Murmel strandete gleichfalls in Costa Nica. Eigentlich wollten wir den Jahreswechsel mit Freund_innen und den alten politischen Weggefährte_innen in Nicaragua verbringen, in den schwierigen politischen und wirtschaftlichen Zeiten Gesprächsfäden spinnen, über Alternativen gemeinsam nachdenken, an Utopien anknüpfen, kritisch reflektieren und die Solidarität zeigen, die wir für die Menschen empfinden. 40 Jahre einer gemeinsamen politischen Geschichte verbinden uns. Wie sie waren wir 1979 voller Ideale und jung.

Wir hofften vor Kurzem inständig, die politische und wirtschaftliche Situation könnte sich entspannen, die Vermittlungskommission nähme versöhnende Verhandlungen wieder auf, man entwaffne Paramilitärs, zöge die Verantwortlichen zur Rechenschaft, lege den Bau des interozeanischen Kanals und die damit einhergehenden Verheerungen für Natur, Regenwald und Staatskasse endgültig ad acta.

Unsere elektronischen Briefe blieben meist unbeantwortet. Pablo (* Name geändert) fragte kurz nach den Bedingungen für ein Asylverfahren in Deutschland an. Am Ende zerrissen wir traurig das bereits gebuchte Busticket und kehrten um. Unmöglich scheint der Drahtseilakt, die Freundschaften im Land zu leben, ohne die Menschen zu gefährden.

Nun spazieren wir suchenden Auges durch San José nach Gesichtern, in der sehnsüchtigen Hoffnung, auf Bekannte zu treffen. Im Hostal lesen wir die Stellungnahmen zu Trumps Nicaragua- Act und aktuelle Reportagen. Nicaragua ist ganz nah.


Autor: blauemurmel

Elisabeth Henn & Ebi Wolf 55294 Bodenheim

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