Ein besonderer Tag

Auffällig ist die plötzliche Stille. Die Hauptverkehrsstraße durch Rwamagana scheint am Sonntagmorgen des 7. Aprils leergefegt. Weder Autos noch Fahrradtaxifahrer sind unterwegs und nur wenige Passanten. Schon unser Hotel wirkte ausgestorben. Aus dem Lautsprecher im liebevoll angelegten Hotelgarten erklang besinnliche Musik. Im Frühstücksraum saßen wir allein unter dem großen Flachbildschirm. Ein  Moderator kündigte die Ansprache des Präsidenten Paul Kagame an.

Der 25. Jahrestag des entsetzlichen Gemetzels nimmt in besonderem Maße Ruandas Jugend und ihr Wissen um die Geschichte in den Blick. Die erste Generation „danach“ ist erwachsen, sie gründet eigene Familien. Bildung soll schützen vor dumpfem Rassismus. Große Hoffnung steckt das Land u.a. in digitale Kommunikationsmedien, um die Menschen zu erreichen.

Der Völkermord an den Tutsi war kein spontaner Blutrausch, sondern geplant. Junge Männer wurden ausgebildet, gezielt zu töten. Ein erstes großes Massaker gegen die Tutsi-Minderheit fand bereits 1959 statt. Immer wieder waren sie Bedrohungen ausgesetzt, zur Flucht in die Nachbarländer gezwungen. In nur 100 Tagen wurden 1994 mehr als 800 000 Menschen ermordet, sowohl Tutsi als auch oppositionelle Hutu, die versuchten, ihre Familienangehörigen oder Nachbarn vor den Macheten und Äxten zu schützen. Die internationale Staatengemeinschaft versagte, die UN- Blauhelme zogen ab. Mit dem militärischen Einzug Paul Kagames in der Hauptstadt Kigali wurde der Wahnsinn beendet. Das junge Ruanda lernte miteinander leben: „Remember-unite-renew.“

Auf dem Weg zur Gedenkstätte kaufen wir Blumen und graue Schleifchen als Anstecker. 2 Muzungu, Nachfahren der ehemaligen Kolonialmacht. Zuhause erinnern Stolpersteine an den Holocaust. Im 21. Jahrhundert lebt Deutschland im Land selbst friedlich, während der viertgrößte Rüstungsexporteur unrühmlich Waffen in Konfliktregionen exportiert.

Das wirtschaftlich dynamische Ruanda gehört wie andere ehemalige deutsche Kolonien zu den Schwerpunktländern deutscher Entwicklungszusammenarbeit. Die Rolle Deutschlands vor und während des Genozids ist weiterhin ungenügend aufgearbeitet. Bündnis90/DIEGRÜNEN  fordern die Einrichtung einer Historikerkommission.

Das Portal der katholischen Kirche ist geöffnet, der Innenraum leer. Die Sonntagsmesse hätten wir verpasst, erklärt uns ein junger Mann. Alban, Jahrgang 1994 wuchs im Kongo als Sohn ruandischer Flüchtlinge auf. „Ich lebe zurzeit in Nairobi, um mein Masterstudium der Kriminologie abzuschließen. Gerade besuche ich meine Verwandtschaft in Rwamagana wegen des Gedenktages. Die Familien und Nachbarn in den Stadtteilen sitzen heute zusammen und erinnern sich. Dabei wird viel geweint. Oft kamen die Mörder von außerhalb, junge Männer wurden in Bussen bewusst in Orte gefahren, wo es keine Angehörigen gab.“

Hat die Stadt Rwamagana eine besondere Geschichte?“, wollen wir wissen. Albans Blick schweift durch die großräumige Kirche. „Auch hier suchten viele Batutsi im April Schutz und fanden den Tod.  Meine Tante war dabei. Sie überlebte.

Protestantische wie katholische Geistliche beteiligten sich am Genozid.  Alban fährt fort: „Pastoren und Pfarrer ließen sich vom Rassenwahn anstecken. Sie verstanden sich selbst als Bahutu oder Batutsi. Manche töteten mit oder lockten die Batutsi in die Falle. Man gab den Mördern den Schlüssel zur Kirche. Einige Pastoren versteckten Menschen.“

Alban, wirst du nach Abschluss des Studiums in Kenia bleiben?
Unser Gesprächspartner zuckt mit den Schultern. „In Kenia leben viele Ruander. Ich sage nicht, dass ich aus Ruanda komme, weil ich Angst vor Aggressionen habe. Ruander sind dort nicht unbedingt willkommen. Außerdem ist es in Kenia hot, dirty, dangerous. Das Klima ist deutlich heißer. Und es kann sein, du wachst auf, im Haus nebenan liegt dein Nachbar tot im Bett. Für wenig Geld wird in Nairobi getötet. In den Kongo möchte ich auch nicht zurück.
Viele Täter flohen z. B. in den Kongo vor den Strafgerichten. Dort leben sie in der Nachbarschaft zu den Opfern, die die Bedrohung fühlen.“

Mit Alban verabreden wir uns zur zentralen Veranstaltung  der Stadt am Nachmittag.  Eine Gedenkmesse findet in der katholischen Kirche statt, die dem Denkmal gegenüber liegt.

Auf dem Vorplatz der katholischen Kirche versammeln sich auffällig viele ältere Menschen, darunter Menschen auf Krücken, die Narben sind sichtbar.

Für die Jugend gab es bereits vormittags eigene Gedenkveranstaltungen.

An eine Schweigeminute schließen sich lange Vorträge an. Die Vizebürgermeisterin wie Überlebende haben das Wort. Den Übersetzungen Albans können wir aufgrund der lauten Mikrofonstimmen der Redner_innen kaum folgen.

Nach nahezu 4 Stunden verlassen wir vorzeitig das Geschehen und laufen in der Dunkelheit zurück.

Ein großes Familientreffen im Hotel  lockt uns mit wunderschöner Acapella- Musik.
Kaum stecken wir die Nase neugierig in den Saal, ermuntert man uns zum Bleiben. „Only God knows“, wie die Großmutter starb, wo sie begraben liegt. Das Porträt der Ermordeten wird gezeigt. Der älteste Bruder, in Frankreich im Exil, lud die große Familie zum 25-jährigen Gedenktag ein. Die Nachfahren und Freund_innen der Familie erinnern sich gemeinsam in kleinen Vorträgen und Gedichten. Sie singen und lachen.
Die Lebensfreude liegt im Jetzt.

 

Weiterlesen?

Kommentar zur Rolle Deutschlands angesichts des Völkermordes 
https://www.gppi.net/2019/04/04/25-jahre-nach-dem-voelkermord-in-ruanda-deutschland-hat-beim-genozid-nur-zugeschaut
(aufgerufen am 08.04.2019)

Eine Studie  zur Rolle Deutschlands während des Genozids
https://www.boell.de/de/2014/04/07/deutschland-und-der-voelkermord-ruanda (aufgerufen am 08.04.2019)

Reportage  zum düstere Kapitel der französischen Ruandapolitik- Macrons blinder Fleck
http://www.taz.de/!5583160/ (aufgerufen am 08.04.2019)

Reportage auf tagesschau.de von Sabine Bohland zum 25. Jahrestag- Es war wie das Ende der Welt
https://www.tagesschau.de/ausland/ruanda-139.html
(aufgerufen am 07.04.2019)

Autor: blauemurmel

Elisabeth Henn & Ebi Wolf 55294 Bodenheim

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