Manuell schließt eine Frau in der Warnweste den Bahnübergang. Ein Monsterzug mit 150 Waggons donnert heran. Die Eisenbahnlinie, die die Kohleminen von Cesar mit dem Karibikhafen Cienaga verbindet, führt mitten durch das dörfliche Aracataca, ein Sehnsuchtsort aller Garcia Marquez-Fans.
Der Geburtsort. Das Haus der Großeltern als Vorlage für 100 Jahre Einsamkeit. Die ersten 13 Jahre des Fabuliermeisters. Der vergilbte Schwarz-Weiß- Druck von Tausend- und- eine-Nacht. Ein legendärer Kastanienbaum im Hof.
Der 1967 veröffentlichte Roman erzählt vom Bananenfieber, dem Aufstand gegen die United Fruit Company, dem Trauma der 3000 Toten unter den streikenden Arbeitern 1928.
Wie hätte Dichter Gabo das Kohle- El- Dorado im Fortsetzungsroman skizziert? Denn erst in den 80-ziger Jahren des 20. Jahrhunderts setzte die massive Kohle-Ausbeute ein. „Manchmal 22 Züge täglich“, informiert uns die Schrankenwärterin.
In der Nacht wachen wir zweimal auf, unsere Unterkunft in Aracataca liegt 250 Meter von der Bahnlinie entfernt. Eine Bürgerinitiative mache sich stark, die Gleise am Dorf vorbeizuleiten, teilt uns Ancizar Vergara, Leiter einer imposanten Öffentlichen Bibliothek des ansonsten staubigen Örtchens am nächsten Morgen mit. Reisende bleiben selten über Nacht.
Kolumbien nutzt überwiegend Wasserkraft zur Energiegewinnung. Die Kohle aus dem Übertageabbau ist ein Exportprodukt. Seit dem deutschen Atomausstieg und der Einstellung des Steinkohleabbaus 2018 importiert Deutschland verstärkt billige Kohle aus dem Ausland.
Kolumbien zahlt den hohen Preis angesichts gravierender Umweltbelastungen und Menschenrechtsverletzungen: Vertreibungen, die Zerstörung des Regenwaldes, die Schädigung von Boden und Grundwasser, die Luftverschmutzung durch den Überlandtransport, die Schwärzung von Obst und Gemüse der Bauern durch Kohlepartikel, Staublungen, Bedrohung und Morde an Gewerkschaftsführer_innen, die Kohleregionen als Territorien der Paramilitärs.
Im Internet werden interessierte Kohle- Skeptiker schnell fündig:
https://www.dw.com/de/fluch-der-kohle-aufstand-in-kolumbien/av-37710774
Eine Reportage der Deutschen Welle aus dem Jahr 2017 über El Cerrejon, das größte Kohleabbaubaugebiet Lateinamerikas (aufgerufen am 19.02.2019)
https://www.vdi-nachrichten.com/Technik-Gesellschaft/Deutschlands-Kohle-Kolumbiens-Narben
(aufgerufen am 19.02.2019)
https://www.medico.de/fileadmin/user_upload/media/factsheet_kohle.pdf . (aufgerufen am 19.02.2019)
https://blog.misereor.de/2018/11/12/kolumbien-kohle-tagebau-macht-nachbarn-krank/
(aufgerufen am 19.02.2019)
https://www.youtube.com/watch?v=Et6jjyJhULI
ARD Weltspiegelbericht 2011 . (aufgerufen am 19.02.2019)
In Santa Marta kontaktieren wir am 11. Februar 2019 den Gewerkschaftssekretär Anibal Perez. Als Vorsitzender der ASOTREDP (Asociaciòn de trabajadores enfermos de Drummond Puerto) vertritt er zurzeit ca. 1000 erkrankte Kolleg_innen der Kohlebranche. Die Staublunge, Wirbelsäulen- und Gelenkprobleme und psychische Probleme warten auf die Anerkennung als klassische Berufserkrankungen.
„Wir kämpfen. Vom us-amerikanischen Konzern Drummond unabhängige Ärzte sollen die Menschen untersuchen. Sie brauchen dringend medizinische Behandlung. Im Mai dieses Jahres verhandeln wir über Kompensationszahlungen für die Betroffenen.
Ich selbst war mehrmals Opfer von Anschlägen und Bedrohungen. Aus Sicherheitsgründen lebt meine Familie nicht mehr hier “
„Jetzt gehöre ich zum Schutzprogramm der Regierung für Gefährdete. Viele Menschen, die sich in den Gewerkschaften und sozialen Bewegungen engagieren, werden von den Paramilitärs bedroht und ermordet. In das Schutzprogramm wurden mehr als 7000 Menschen aufgenommen. Je nach Einschätzung der Gefährdung gewährt die Regierung ein Nottelefon, eine schusssichere Weste oder auch Personenschutz. Ich habe kein Vertrauen in das Schutzprogramm, weil es von der Regierung kommt. Sie ist für mich angesichts der zunehmenden Militarisierung Teil des Problems und nicht Garant der Lösung.“
„Seit dem Regierungswechsel im August 2018 nehmen die Probleme in den Bergbauregionen wieder zu, also hier im Norden in La Guajira und Cesar. Wieder bedrohen Paramilitärs Menschen, die den Bergbauunternehmen in die Quere kommen. Mindestens 250 Aktivist_innen wurden seither umgebracht. Anfang Januar wurde eine Companera hier in Santa Marta ermordet, die die Sprecherin der Vereinigung der Vertriebenen war. Nein, wir lassen uns nicht einschüchtern. Ich gebe Euch Dokumente mit. Eine Veröffentlichung in Deutschland würde uns sehr helfen“.
Im Hafen von Ciénaga verlädt der Konzern Drummond die Kohle. Die gebeutelte Stadt, ehemals Teil der Bananenrepublik der United Fruit Company wurde seit den 60-ziger Jahren den Kokainkartellen unterworfen. Der gefürchtete Drogenboss Pablo Escobar habe hier an der Karibikküste während der Marimba sein Handwerk gelernt. Was sagen die Menschen aus La Cienaga zum Geschäft mit der Kohle?
Am 18. Februar 2018 rollt die blaue Murmel gespannt in die Hafenstadt Ciénaga ein. Zu den eingezäunten Molen ca. 10 km stadtauswärts bleibt uns der Zugang verwehrt.
Mit den Einwohner_innen will kein Gespräch zustande kommen, sobald wir sie nach den großen Arbeitgebern aus der Kohlebranche vor Ort fragen. In der Cafeteria der staatlichen Universität starren die Studenten auf die TV-Berichterstattung. Schwarzer Rauch steigt auf, Menschen tragen Atemmasken, Ärzte informieren über akute Atemwegserkrankungen. In der ca. 950 km entfernten Hauptstadt Bogotá herrscht Smogalarm. Schweigsam löffeln wir den Reis, allein mit unseren Fragen zum Leben vor Ort in Ciénaga.
Unschlüssig verbringen wir die gleißende Mittagshitze im menschenleeren Stadtpark.
Ein letzter Anlauf. Wir fragen schon längst nicht mehr nach dem Konzern Drummond, sondern behutsam, wer uns etwas über die Stadt Ciénaga erzählen könne. Ein Fahrradtaxifahrer verneint, er sei ein einfacher Mann, allerdings kenne er einen Historiker im Ort. Schon strampelt er los.
Wir treffen Guillermo Henriquez Torres in seinem Haus an. Und sprechen fasziniert mit dem langjährigen Freund des Schriftstellers Garcia Marquez ausführlich über den magischen Realismus und Marotten des Künstlers.
Zwischendurch lenken wir das Gespräch immer mal wieder auf die Kohleverschiffung. Don Henriquez, Jahrgang 1940, Poet und Soziologe scheint kein Extravismuskritiker zu sein. Die Bürger der Stadt atmeten auf, könnten im Kohlesektor legal Geld verdienen. Überhaupt sei Kolumbien unermesslich rohstoffreich.
„Der Strand von Ciénaga ist grau, nicht schwarz. Das liegt an den Thermal- und Gasquellen unterhalb. Und wahrhaftig- vor ungefähr 5 Jahren hat Drummond auf internationalen Druck hin umgesteuert. Es gibt höhere Umweltauflagen. Die Kohle reist jetzt in geschlossenen Zügen.“
Irgendwie ließen wir uns gerne ein wenig beruhigen.
Zum Weiter-lesen, Nach-denken. Mit-machen:
https://www.misereor.de/mitmachen/aktionen/kohlestopp-global/ (aufgerufen am 19.02.2019
Klasse wie ihr recherchiert…Das mit dem beruhigen ist sehr verständlich…
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