Der Kanal riecht nach Bananen. Das Obst reist von Lateinamerikas Westküste schockgefroren zu Westeuropas Supermärkten. Gewiss machten sich der kleine Tiger und der kleine Bär entspannt auf dem gemütlichen Sofa schlau.
https://de.wikipedia.org/wiki/Panamakanal
Das Redaktionsteam blauemurmel.blog platzierte sich jedoch unter Anspannung an der Schleuse. Bringt es die nötige Geduld auf, die angekündigte Durchfahrt eines beladenen Ozeanriesens zu beobachten?
Besucherscharen drängten am 16. Januar auf die aufgeheizte Aussichtsterrasse. 200 000 junge Menschen reisten zum katholischen Weltjugendtag 2019 und Kanalsightseeing an. Das Thermometer kletterte bereits am Vormittag über 30 Grad. Die Öffnung der Schleuse von Miraflores wurde drei Stunden später erwartet. Derweil nutzte die pilgernde Jugend das Panama Canal Vistor Center als Selfiepark.
Endlich fiel der erlösende Satz. „Das kann man auch an der Mosel sehen“. Die blaue Murmel zog sich vom Schleusentor zurück.
Natürlich hinkt der Moselvergleich. Wir hielten es frei nach Jean Paul: Wer keine Gelegenheit hat, einen spanischen Mauleselstall von innen zu besichtigen, hat umso mehr Gelegenheit, ihn sich auszudenken… nachzudenken. Die Erfolgsgeschichte des Kanals und ihre Schatten spürten wir bei den Exkursionen in der Kanalzone und gemütlich in der Hängematte schaukelnd auf.
Wer baute das siebentorige Theben und wer den Kanal? https://amerika21.de/analyse/215595/panama-sklaverei
Die Wasserstraße in 82 km Länge verbindet seit 1914 Pazifik und Atlantik.
Um Höhenunterschiede bis zu 26 Meter auszugleichen, ist der Wasserbedarf immens. 200 Millionen Liter Wasser fließen in das Becken, soviel wie die Großstadt München an einem Tag verbraucht. In 15 Stunden queren die Frachter von einem Weltmeer zum anderen, an den Schleusen verzögern sich die Weiterfahrten.
Der zweite Bauabschnitt wurde erst 2016 fertiggestellt. Im Globalisierungsfieber erweiterten und vertieften die Bauherren geschwind binnen von 10 Jahren den zweiten Kanalarm. Seither passieren Container- und Kreuzfahrschiffe, die 366 m lang, 49 m breit und 15,2 m tief sind. New Panamex heißt die Maßeinheit.
Der Kanalerweiterung ging 2006 eine Volksabstimmung voraus. Ökologen widersprachen, um die Regenwälder am Kanalufer zu schützen. Sie befürchteten weiter sinkende Grundwasserspiegel und die Versalzung des Stausees Gatún als Panamas größtes Trinkwasserreservoir. Zudem landet mit jedem Frachtschiff Schweröl in den Gewässern und Kohlendioxid in der Atmosphäre.
78 Prozent der Befragten stimmten dem Ausbau zu. In unseren Begegnungen mit dem Panama der Gegenwart spüren wir Stolz und Fortschrittsglauben, das Ja zur Lebensader Kanal, ein Verkehrsweg mit nationaler Symbolwirkung.
Jährlich sprudeln ca. 1,8 Milliarden US-Dollar Deviseneinnahmen. Über 8000 Beschäftigte sind in der Verwaltung, der Abfertigung und in der Instandhaltung des Kanals tätig. Je nach Größe, Ladung und Personenzahl zahlen die Schiffseigner bis zu 400.000 Dollar Maut für die einzelne Durchfahrt.
Kleine Segelyachten werden entsprechend geringer zur Kasse gebeten.
Frachtschiffe aus Nordamerika, Westeuropa und zunehmend Chinesen sind Großkunden, um Zeit und Transportwege einzusparen. 66 Prozent aller Waren, die in den USA be- oder entladen werden, nutzen den Panamakanal am Isthmus zwischen Zentral- und Südamerika.
Ein Rückfluss auf Panamas Ökonomie ist unverkennbar.
Der Lebensstandard ist hoch- wenigstens für die eine Hälfte der Bevölkerung.
Schon Colon, zweitgrößte Stadt Panamas ist von extremer Armut gezeichnet. Mit der Einführung der Containerfrachtschiffe verloren an der Kanalmündung viele Menschen den Arbeitsplatz. Die goldene Ära des einst blühenden Handelszentrums Colon scheint für viele Afrokariben passé.
Im 21. Jahrhundert beschleunigt sich dank des Kanals zugleich der Aufschwung des Tourismus als Devisenbringer und Beschäftigungsfaktor. Weil die Kanalzone bis zum 31.12.1999 von den USA besetzt und militärisches Sperrgebiet war, hatte die Biodiversität in den angrenzenden Regenwäldern Bestand.
Mitten in der Hauptstadt Panama und in den angrenzenden Zonen spazieren und wandern internationale Gäste nahe den Wolkenkratzern durch geschützte Naturreservate.
Im neuen Jahrtausend gewann Panama die uneingeschränkte Souveränität über den Kanal. Sicherheitshalber erinnert der Nationalfeiertag am elften Januar an die Okkupation und den Flaggenkrieg 1964. In der Auseinandersetzung um ein Basta der US-amerikanischen Besatzung zogen Panamaer demonstrativ mit der Nationalflagge in okkupiertes Terrain ein. Das US-Militär „grüßte“ mit scharfen Waffen zurück. 64 Menschen starben, Hunderte wurden verletzt.
Die Spannungen lockerten sich 1977 mit der Verabschiedung der Torrijos- Carter-Verträge, die den Abzug der USA am 31.12.1999 garantierten. Das unveräußerliche Nationaleigentum in den Händen Panamas verpflichtete sich zur Neutralität und lässt darum auch Kriegsschiffe passieren.
Im wunderschönen Stadtteil San Felipe, seit 1997 UNESCO Weltkulturerbe suchten wir das Kanalmuseum auf.
Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts schafften es Menschen zu Pferd oder Esel auf dem Camino Real in 4 Tagen von der Karibik- an die Pazifikküste. Händler zogen den Camino de las Cruces vor, befuhren je nach Strömung in mindestens 7 Tagen den Rio Chagres, der mit seinen 50 km Länge als Nordost-Südwestverbindung in den späteren Kanal integriert wurde.
Goldrausch und technische Errungenschaften wie Dampfmaschinen befeuerten Bauprojekte der frühen Globalisierung. In Tehuantepec (Südmexiko), am Rio San Juan (Nicaragua), in Nordkolumbien– Baumeister und Händler träumten und träumen, die Weltmeere zu verbinden. Der Panamakanal setzte sich bislang als kürzeste Verbindung durch.
Schwerstarbeitende wurden für den Kanalbau aus Jamaica, Barbados und von anderen karibischen Inseln unter falschen Versprechungen „angeworben“ und jämmerlich entlohnt.
Im Museum der afroantillischen Kultur suchten wir zwischen Alltagsgegenständen vergeblich nach einer tiefgründigen Sozialgeschichte. In der ehemaligen christlichen Missionskirche zeigen 2 Tafeln und eine Lore, dass Afrokariben die Eisenbahnlinie und den Kanal erbauten. Die Vergangenheit wird für uns ohne Gegenwartsbezug dargestellt. Die Mitarbeiterinnen äußerten sich sehr verhalten auf die Frage nach der Lebendigkeit der afrokaribischen Kultur und dem Alltagsrassismus, als ob in Panama ein Tabu über der Geschichte der Vorfahren läge.
Das Museum der Biodiversität wurde im Oktober 2014 zum hundertjährigen Jubiläum der Wasserstraße eröffnet. Panamas einzigartige Biodiversität, seine weltweit artenreichsten Regenwälder wurzeln einerseits in der geologisch vor 3 Millionen Jahren entstandenen Landbrücke zwischen Nord- und Südamerika. Andererseits basiert sie auf dem Umstand, dass die US-Amerikaner ihren Hinterhof in der Kanalzone militärisch abschirmten, sodass Flora und Fauna bis in die Gegenwart hinein in den geschützten Nationalparks an den Ufern leben.
Architektonisch entworfen wurde das Museum von Frank Gehry als skulpturales Gebäude.
Es hat das Aussehen „eines Stapels von einem Tropensturm durcheinander gewirbelter Schiffcontainer“ lasen wir als Erläuterung. Die blaue Murmel fühlt sich geborgen im Bauch eines großen bunten Insektes.
Engagierte Freiwillige führten durch die Ausstellung. Eine Architekturstudentin und eine Tänzerin engagieren sich in Nichtregierungsorganisationen für den Umweltschutz.
„Nein, Prädidentin von Panama möchte ich nicht sein. Mir gefällt es nicht, Macht auszuüben. Viele Politiker sind korrupt,“ teilte uns Ana mit.
Das Panama Canal Visitor Center erstreckt sich über 4 Etagen an der Schleuse von Miraflores. Technikinteressierte studieren die Geschichte des komplexen und aufwändigen Baus. Besucher_innen manövrieren mithilfe eines Simulators Frachtschiffe durch den Kanal.
Im wahren Leben müssen in Panama selbst erfahrene Kapitäne das Steuer abgeben und den örtlichen Experten überlassen, um Unfälle zu vermeiden.
Ein Museum für den Fortschrittsglauben, ohne Reflexion, was die Ausweitung des Welthandels bedeutet. Die Blaue Murmel verzichtet auf die Schleusentoröffnung und sucht erstmal Exit, den Ausgang.
Wer hat den Kanal voll?
Wie lässt sich die Globalisierung ökologisch und gerecht gestalten?
Der globale Wettbewerb ist auch in Zentralamerika im vollen Gange.
Nur ein Beispiel: Im Zuge der neuen Seidenstraße baut China soeben in Costa Rica den „Canal seco„, einen sogenannten Kanal über Land. Straßen und Schienen in 325 km Länge sollen die Meere verbinden. Der Ausbau der Häfen von Guanacaste und Limon, 3 Flughäfen und Freihandelszonen sind in der Planung. Die Eisenbahnstrecke nach Limon befindet sich bereits im Bau. Um Widerständen vorzubeugen, bleibt die exakte Route quer durch Costa Rica nebulös.
Bislang zahlt auch China noch hohe Gebühren für die Nutzung des Panamakanals.