Glasklar und kühl ruht der Lago Zciscao auf 1500 Meter Höhe. Nach dem Bad wärmen wir uns im Schlafsack auf und blicken aus dem Fenster der Cabana, unserer Hütte auf die glitzernde guatemaltekische Bergkette. Niemand hält Spaziergänger, Händler und Arbeitskräfte auf, die den Grenzverkehr rege nutzen. Kontrollposten gebe es erst 50 km im Landesinneren hören wir. Offene Grenzen sind scheinbar möglich.
Auf mexikanischer Seite liegt das Dorf Tziscao mit 3000 Einwohner_innen. Ab und an schreit ein Hahn. Leise brummen Seewasserpumpen, die große graue Plastikkanister vor jedem Haus füllen, wenn der Regen ausbleibt. Zweimal im Jahr säen und ernten die Menschen dank der Regenzeit und künstlicher Bewässerung. Die Landwirtschaft dient überwiegend dem Eigenkonsum: Mais, Kaffee, Kakao, Bohnen, Bananen, Zitrusfrüchte, Tomaten, Avocados, Gemüse, freilaufende Hühner, selten ein Rind. Seit 45 Jahren gedeiht das Pflänzchen sanfter Tourismus. Das Naturreservat Montebello zieht vor allem mexikanische Tourist_innen an.
In einer skandinavisch anmutenden Bauweise wurden gemütliche Hütten aus solidem Holz errichtet. Sein Bruder sei Schreiner und habe die Anregung zufällig aus einer Fernsehsendung, erklärt uns unser Vermieter Hugo stolz und zugleich mit Sorgenfalten. Der Wasserspiegel des Sees steige an, sodass ufernahe Hütten bereits verschwunden sind. An unregelmäßigen heftigen Regenfällen spüre man seit 2 Jahren verstärkt den Klimawandel.
Hugo engagierte sich Mitte der 90er Jahre für die zapatistische Bewegung EZLN. Als ihn die Polizei verfolgte, zog er sich aus der Politik zurück. Seine Kraft gilt seither dem Aufbau kommunaler Gemeinschaftsprojekte. 22 Familien schlossen sich zu einer Kooperative zusammen. Sie nutzen die staatliche Unterstützung für Tourismusprojekte und dürfen sich Pueblo Magico, magisches Dorf nennen, indem sie ökologische Standards erfüllen, z. B. den Müll trennen, kein Brennholz schlagen.
Gleichzeitig geht die stete Arbeitssuche weiter. Hugo absolvierte u.a. eine medizinische Kurzausbildung für die zahnmedizinische Erstversorgung. Er zieht Zähne und fertigt Gebissabdrücke an. Im Nebenraum betreibt sein Sohn einen Frisörsalon.
Frauen backen zentral preiswerte Tortillas für das Dorf.
Anders als umliegende Bergdörfer genießt das Dorf nah der Hauptstraße eine gute Infrastruktur. Der Gesundheitsposten, die Primarschule mit 300 Kindern, eine Sekundarschule, eine Oberstufenschule, die katholische Kirche mit einem engagierten Pastor, der Fußballplatz, Container zur Mülltrennung, an den Hauseingängen. Verbotsschilder verweisen darauf, keine Seifen zu verwenden, die ins Grundwasser sickern, eine Kanalisation ist nicht angelegt.
Wir genießen die friedliche Atmosphäre und fühlen uns heimisch, die Menschen grüßen freundlich. Gelassen lassen wir unseren Reichtum in der Hütte zurück, für die es keinen Schlüssel gibt, Pässe, Tablett, Kamera, Bargeld. Der einzige Dorfpolizist gilt als Mann des Vertrauens, vom Dorf gewählt. Wie in vielen Dörfern Chiapas bleibt das staatliche Gewaltmonopol ausgesperrt. Die Dorfgemeinschaft regelt auftretende Konflikte intern und wirkt gut organisiert. Gerade wurde der alte Bürgermeister wegen Korruption und Untätigkeit abgewählt.
Das Ökotourismusprojekt ist für viele ein Hoffnungsträger, da es Arbeitsplätze schafft und Besucher_innen ins Dorf bringt. Gleichzeitig verliert die Subsistenzlandwirtschaft an Bedeutung. Denn sie ist an harte körperliche Arbeit geknüpft und ermöglicht nur geringe Einnahmen. Auch aus Tziscao wandern junge Menschen in Industriestädte des Nordens oder in die USA ab. Andere suchen Einkünfte über den lokalen Tourismus. So warten die Motorradtaxifahrer geduldig am Ortsrand auf Touristen, um diesen lukrative Rundfahrten zu den umliegenden Seen anzubieten.
„Früher habe ich mit meinem Vater als Kaffeebauer gearbeitet. Jetzt fahre ich lieber Motorradtaxis“, berichtet Pancho. „Die Konkurrenz ist groß. Mittlerweile gibt es 40 Motorradtaxifahrer im Dorf. Jetzt, Anfang Dezember herrscht Leerlauf, die Saison beginnt mit den Weihnachtstagen. Besucher kommen auch zu Ostern und im Juli“. 9 Monate Unterbeschäftigung?
Wer kultiviert den Kaffee, wenn die Kinder der Kaffeebauern flüchten?
Miguel Antonio nutzt den Anbau als Nebenerwerb. Ohne die Familie könnte er die Ernte im Dezember und Januar nicht bewerkstelligen. Der Löwenanteil landet in den Taschen der Händler. Der Produzent erhält allerhöchstens 5 Prozent des Preises, den der Konsument zahlt, schreibt die überregionale Tageszeitung La Jornada am 28.10.2018. Der Kaffeeproduzent bleibt ein Abenteurer, der alle Risiken trägt und als schwächstes Glied in der Kette die Preisschwankungen ausbaden muss.
80 Prozent des mexikanischen Kaffees wird exportiert. Die Überproduktion, der Verfall des Kaffeepreises an der New Yorker Kaffeebörse und der Pilz „La Roya“ machen den Kaffeebauern weltweit 2018 zu schaffen. Subventionierte der mexikanische Staat bis in die 80-ziger Jahre hinein den Kaffeeanbau in den sogenannten „goldenen Jahren“ Mexikos, verbat dies das Freihandelsabkommen NAFTA. Durch den Klimawandel bedingte Kälteeinbrüche, Hagel und Starkregen sind Auslöser für den Pilzbefall.
Mexikanischer Kaffee wird zudem zu 85 Prozent auf Minifundien produziert. Vor allem in den Bundesstaaten Chiapas, Oaxaca und Veracruz besitzen in der Regel indigigene Bauern weniger als 2 ha Anbaufläche. Was wir in Tziscao erfahren, scheint typisch.
Auch für Miguel Angel übersteigen die Produktionskosten den Gewinn, wenn er Wanderarbeiter aus Guatemala zum Tageslohn von 100 Peso (5 Euro) einstellen muss. Viele Bauern in der Region geben auf, sie pflanzen Mais und Bohnen.
Anders Don Emilio, der örtliche Kaffeeproduzent und Händler. Er kauft den Kaffee der Kleinbauern auf, trocknet, röstet, mahlt, verpackt und vertreibt die Bohnen auf dem lokalen und nationalen Markt, zum Teil auch unter einem Biosiegel. „Leider schätzen die Mexikaner den biologischen Kaffee nicht, sie sind nicht bereit, die Mehrkosten zu zahlen. Dabei erfordert der Verzicht auf Pestizide einen hohen Arbeitseinsatz“, erklärt er. Als Mitglied des mexikanischen Kaffeeverbandes fordert Don Emilio von der neuen Regierung staatliche Unterstützung, um Schwankungen des Kaffeepreises abzufedern und die Bauern zu beraten. „La Roya macht uns zu schaffen, wir müssen umsteuern und neue, gegen den Pilz resistente Kaffeesorten anbauen. Viele Bauern, die mit Pestiziden arbeiten, kennen nicht die Alternativen, zum Beispiel biologische Fungizide zu nutzen, die Anpflanzungen zu diversifizieren.“
Wie viel Liebe steckt in einer guten Bohne!
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http://www.spiegel.de/spiegel/kaffee-die-bittere-wahrheit-ueber-unser-lieblingsgetraenk-a-1168626.html